Lukas und die gestohlene Weihnacht
bestimmt auch, oder?“ Er lächelte die beiden an und Rebekka schrak zurück, als sie dabei seine verfaulten Zähne erblickte. Auch sein Blick gefiel ihr gar nicht.
„Ja, das ist sehr nett. Gerne “, antwortete Lukas.
„Na, dann kommt mal mit!“
Lukas folgte dem Mann mit den fauligen Zähnen und dem zerlumpten Mantel. Rebekka hielt ihren Bruder am Ärmel fest und zischte ihm zu: „Lukas! Da stimmt was nicht! Lass uns lieber hier bleiben!“
„Bek ki, hier erfrieren wir! Na komm!“
Zusammen folgten sie mit dem Mann, Rebekka nur widerwillig. Doch die Schmerzen in ihren fast steif gefrorenen Füßen und der Drang, sich aufwärmen zu können, waren stärker als ihre Zweifel. Sie bogen von der Straße ab in eine schmale Gasse. Dann blieb der Mann unvermittelt stehen. Lukas sah ihn verwundert an. Rebekka ahnte, dass dies eine Falle war.
„Was wollen wir hier?“, fragte Lukas. Da packte der Mann Rebekka und drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie schrie auf. Lukas sah in seiner anderen Hand ein Messer aufblitzen, dass er Rebekka an die Kehle drückte.
„So, mein Junge, jetzt gibst du mir mal schön deinen Janker, sonst töte ich deine kleine Freundin hier.“
„Meinen … was ?“, rief Lukas ängstlich.
„Er meint deinen Pulli! Gib ihn ihm!“, presste Rebekka mit an die Wand gedrücktem Gesicht hervor.
Lukas begriff, dass er keine andere Wahl hatte. Er zog mit einem Ruck seinen Pullover aus und warf ihn dem Fremden vor die Füße.
„Den von dem Mädchen auch. Na los!“, schrie der Mann. Er ließ von Rebekka ab und sie zog auch ihren Pullover aus. Der Mann riss ihn Rebekka aus den Händen. Er säuselte:
„Vielen Dank, ihr Bälger und willkommen in St. Georg, dem vornehmsten Vorort von Hamburg, hahaha.“ Sein Lachen war dabei so und so dreckig wie sein Mantel.
Während er die Kinder halb nackt in der dunklen, schmalen Gasse zurückließ, schlich er lachend von dannen. Lukas konnte nicht mehr anders, er schluchzte und Tränen liefen ihm über seine Wangen. Rebekka umarmte ihn, doch er ließ sich nicht beruhigen.
„Das ist alles meine Schuld. Ich bringe dich und mich nur in Schwierigkeiten. Es tut mir so leid, Rebekka.“
Rebekka hielt ihren Bruder fest im Arm, aber sie schwieg. Gemeinsam gingen sie auf die große Straße zurück. Sie setzten sich am Straßenrand auf den Gehsteig und hielten sich fest umklammert, um so wenigstens etwas von der Kälte fernhalten zu können. Rebekka holte die Schneekugel unter ihrem T-Shirt hervor und hielt sie mit ausgestrecktem Arm von sich weg. Doch die Kugel begann nicht zu leuchten. Nach einer Weile sah sie, wie sich Lukas’ Lippen blau zu verfärben begannen.
Schwach hauchte sie ihm zu: „Nicht einschlafen, Lukas, sonst erfrieren wir“ Lukas hatte jedoch seine Augen bereits geschlossen und auch Rebekka konnte sich kaum noch wach halten.
Irgendwann wurde Rebekka durch ein Rütteln geweckt. Jemand schüttelte sie mit beiden Händen an den Schultern. Sie öffnete die Augen. Es war längst dunkel geworden. Erschrocken begann sie zu wimmern und wehrte sich gegen die Person, die sie da so durchrüttelte.
„Keine Angst, Mädchen. Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten“, sagte die Männerstimme, die zu den sie packenden Händen gehörte, zu ihr. Sie blickte in das freundliche Gesicht eines Mannes, vielleicht 35-40 Jahre alt. Dann sah sie zu Lukas. Er schlief. Seine Lippen waren noch immer blau angelaufen. Der Schleim, der aus seiner Nase gelaufen war, war festgefroren. Wieder blickte sie zu dem Mann.
„Komm. Ich bringe Euch weg von hier, dich und deinen Bruder.“
„Woher wissen sie …“, begann Rebekka, doch der Mann fuhr fort:
„Die Ähnlichkeit! Ihr müsst einfach Geschwister sein! Es ist gefährlich für Euch hier in St. Georg. Wenn Ihr nicht erfriert, dann wird man Euch etwas antun. Als Fremde seid Ihr hier nicht besonders sicher. Und als Kinder schon gar nicht.“
„Wieso sollten wir I hnen vertrauen?“, fragte Rebekka, obwohl sie längst Vertrauen zu dem Mann gefasst hatte. Rebekka besaß eine gute Menschenkenntnis und genau so, wie sie ihr Misstrauen vorhin nicht getäuscht hatte, so glaubte sie, dass dieser Mann hier Gutes im Sinn hatte.
„Mein Name ist Johann Heinrich Wichern. Ich bin Lehrer und ich bringe Euch in ein Haus, wo ihr gepflegt werdet und zu Essen bekommt.“
Rebekka weckte ihren Bruder. Halb wach, halb schlafend folgte Lukas Rebekka und sie stiegen mit dem Lehrer Wichern in eine Droschke. Wichern legte
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