Lukianenko Sergej
respektvoll an.
»Im Notfall musst du unter den Beinen der Feinde
durchschlüpfen und ihnen damit aufs Knie hauen«, erklärte Hort. »Oder den gefallenen Feinden oben auf den
Schädel hämmern, damit sie nie wieder aufstehen.«
»Das ist nicht nötig!«, mischte sich Trix erschrocken
ein. »Wir schaffen das ohne Kampf!«
»Man muss auf alles vorbereitet sein«, hielt Hort dagegen. »Außerdem kannst du mit dem Hammer Nüsse
knacken.«
»Wenn Ihr meint«, gab Trix klein bei. »Trotzdem bin
ich mir sicher, dass ein Kampf nicht nötig sein wird.«
»Mein Volk hat ein Lied«, sagte Krakritur. »Ich kann
es nicht in eurer Sprache singen, aber der Sinn ist folgender, hört zu! Wenn du dich auf eine Reise machst, ist es
mit einem Freund lustiger. Dann bist du nicht allein. Die
brüllenden Schneestürme verlieren ihren Schrecken, die
glühende Hitze jagt dir keine Angst ein, der Regenguss
stört dich nicht. Mit Freunden handelst und denkst du
besser. Allein auf einen Bären loszugehen ist lebensgefährlich, aber zusammen mit Freunden kannst du dich
von verschiedenen Seiten anschleichen, und ihr könnt
den Bären besiegen, falls ihm nicht ein anderer Bär zu
Hilfe kommt. Damit sich die Weisheit dieses Liedes fest
in deinem Kopf einnistet, musst du es lange singen und
jedes Wort mehrmals wiederholen.«
»Unser Volk hat auch solche Lieder«, sagte Hort.
»Selbst die Sänger im heißen Samarschan kennen ähnliche.«
»Und was ist mit dir?«, wandte sich Trix an Annette.
»Mit mir?« Die Stimme der Fee klang, als würde sie
gleich in Tränen ausbrechen. »Ich mache, was du sagst,
mein Liebster. Wenn du willst, dass ich hierbleibe, werde
ich an diesem Pier auf dich warten … solange meine
Kräfte reichen, solange der garstige Wind mir nicht die
Flügel bricht und mich ins eisige Wasser reißt.«
Trix streckte schweigend den Arm aus und Annette
setzte sich auf seinen Handteller.
Natürlich hatte Trix all die Erzählungen über die heldenhaften Kinder gelesen, die während des Kriegs gegen
die Vitamanten den Erwachsenen geholfen hatten. Sie
hatten die Stärke und die Marschrichtung der feindlichen
Truppen ausspioniert; sie hatten das Korn in Brand gesteckt, damit der Feind keine Nahrung mehr hatte; sie
hatten Brunnen und Tränken vergiftet; sie hatten die Vitamanten mit Aufforderungen zugeschrien, sich zu ergeben, und von den lebenden Leichen verlangt, zu bereuen
und sich freiwillig in ihren Gräbern einzubuddeln.
Nur eine Sache störte Trix. Alle Erzählungen über diese
heldenhaften Kinder endeten damit, dass die Vitamanten
sie gefangen nahmen, schlimmster Folter unterzogen und
töteten.
Aber er wollte unbedingt glauben, dass eine Geschichte
auch anders enden kann.
Eine sanfte Abendbrise trug die Tintenfisch aufs Meer
hinaus. Die geschmeidigen Rücken der Delfine schimmerten im Dämmerlicht, fliegende Fische jagten übers
Wasser, die Luft roch nach Salz, das durchscheinende
Flusswasser wurde dunkler, nahm ein tiefes Blau an. Die
Möwen zogen träge über den Schoner dahin und schrien
sich mit ihren seltsamen Stimmen traurig etwas zu: »Tekelili! Tekelili!«
»Hisst das Hauptsegel!«, befahl Hort.
Zu Trix’ Verblüffung brauchten sich die Schauspieler
nur kurz zu beraten, um dann eines der Seile zu ziehen.
»Hisst die Stagsegel! Zuuu-gleich!«
Nun half auch Paclus den Schauspielern.
»Trimmt die Licken, Fischkinder! Am Baum!«
Hallenberry begeisterte das Geschehen derart, dass er
sogar den Finger in den Mund steckte. Sobald Hort das
sah, schrie er: »Schiffsjunge! Finger aus dem Mund! Ab
in die Kombüse! Du hilfst Ian beim Kartoffelschälen!«
Trix unterdrückte tapfer den Wunsch, Hallenberry zu
folgen – und sich vor dem barschen Kapitän in Sicherheit
zu bringen. Schließlich war er kein Rotzbengel, sondern
ein junger Magier …
»Schläfst du, Zauberer?«, wandte sich Hort an ihn.
»Wo bleibt dein Wind? Ich halte den Kurs, bläh du die
Segel!«
Trix sah ängstlich zu den alten grauen Segeln über ihm
hoch. Die schlecht gespannten Taue und Schnüre hingen
durch, die Flicken auf dem Hauptsegel knatterten im
Wind …
»Eipott«, murmelte er, um das Buch mit Zaubersprüchen zu öffnen.
Da … das war die Feuerwand … mit dem hier rief er
Sauerampfer um Hilfe … ein wunderbarer Zauber, wenn
auch die Worte etwas beschämend waren: »Oh großer
Zauberer, hörst du deinen saumseligen Schüler …«
Aber da. Da war der Windzauber.
Trix hustete, um die Aufmerksamkeit der Mannschaft
auf sich
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