Lukianenko Sergej
langsam anfangen«, sagte Hort. Er
zog ein paar Beeren Bergkaffee aus der Tasche, steckte
sich zwei in den Mund und zerkaute sie. Er hielt auch
Paclus einige hin, der sie mit dankbarem Nicken annahm.
»Sonst eröffnen die Vitamanten nämlich mit ihren Katapulten das Feuer!«
»Haben sie uns denn schon bemerkt?«, fragte Trix.
»Ob sie uns bemerkt haben?« Hort lachte. »Mein Junge, es ist schwierig, ein Schiff zu übersehen, das auf den
Flügeln eines Sturms hinter dir herrast, mit einer Geschwindigkeit, wie die Natur sie nie zulassen würde. Ein
Schiff, das von Blitzen und Windhosen begleitet wird!
Ein Schiff, das …«
»Schon verstanden.« Trix sah sich um. Die Mannschaft war inzwischen heraufgekommen. Sogar Ian und
Hallenberry waren da, beide übrigens nass – womit die
Frage geklärt wäre, wie Ian Hallenberry geweckt hatte.
Sie wirkten verängstigt. Trix konzentrierte sich und fing an:
»Und still ruht die See. Keine Dünung, keine Wellen –
nichts gibt es mehr. Der Wind legt sich. Seine Böen stören nicht länger den tiefen Schlaf des Wassers. Die graublauen Wolken lösen sich auf, das Donnergrollen verstummt, die Blitze erlöschen. Auf dem spiegelglatten
Meer liegen reglos zwei Schiffe.«
Er verstummte.
»Hm!« Hort sah sich nachdenklich um. »War vielleicht etwas abrupt.«
Ein riesiger schwarzer Sturmvogel knallte aufs Deck
der Tintenfisch. Der Vogel riss den Schnabel auf, keuchte
und glotzte die Menschen verwirrt an. Schließlich
krächzte er tadelnd und stakste nach achtern, wobei er
Trix fest im Auge behielt.
»Die ganze Nacht ist der Ärmste durch den Sturm geflogen«, sagte Paclus. »Wurde hochgeschleudert und
wieder nach unten gedrückt, bis er fast die Wellen berührte. Und wie er geschrien hat! Hat selbst mir das Herz
zerrissen!«
»Auf dem Schiff der Vitamanten richtet man gerade
die Katapulte aus«, bemerkte Hort beiläufig. »Und dem
Rauch nach zu urteilen, wollen sie Pfeile mit heißem
Teer abschießen.«
Trix schlug rasch das Eipott auf und las den Zauber
vor: »Schlaf! Oh du süßer Schlaf, der du die Lider niederdrückst, der du die Freude des müden Körpers und der
erschöpften Seele bist! Schwer ist das Handwerk des
Seemanns, kurz der Augenblick der Erholung. Wie wohltuend ist es da, sich auf dem warmen Deck auszustrecken
und die Wange auf die Hand zu betten, während das
Meer – wie eine liebevolle Mutter die Wiege – zärtlich
das Schiff der Vitamanten schaukelt. Schlaf, süßer
Schlaf, kommt zu jeder lebenden Seele, nur nicht zu jener der Fürstin Tiana. Er nimmt Kummer und Leid, Müdigkeit und Trauer von ihnen. Und auf dem Schiff der
Vitamanten sinken sie in tiefen Schlaf: So schläft das
Kind auf der nach Milch riechenden Brust der Mutter;
so schlafen Verliebte, die auf den Atem des anderen lauschen; so schläft der müde Maurer, nachdem er die Kelle
weggelegt hat; so schläft der fleißige Scholar, dem der
Kopf auf eine Schriftrolle sackt. Und ihr Schlaf wird genau drei Tage dauern, keine Minute länger, keine Minute
weniger. Sie schlafen schon … schlafen … schlafen …«
Trix verstummte. Paclus und Hort spähten zum Schiff
der Vitamanten hinüber. Irgendwann nickte Paclus zufrieden. »An den Katapulten ist alles ruhig! Anscheinend
hast du sie in den Schlaf geschickt, Trix! Guter Junge!
Ein guter Zauber. Mit Worten für Auge, Ohr, Hand und
Nase!«
»Für die Nase?«, fragte Trix erstaunt.
»Das über die Muttermilch …«
»Die riecht?«, fragte Trix. »Ich habe das nur gesagt, weil
es da stand … Überhaupt ist das Sauerampfers Zauber.«
»Trotzdem gute Arbeit. Und jetzt zaubere uns ein
bisschen Wind. Aber nur einen ganz leichten. Damit wir
an ihr Schiff herankommen.«
Während Trix einen einfachen Zauber wirkte (in seinem Kopf schwirrten die Worte »Der Wind hat mir ein
Lied erzählt …«), holte Paclus einen Diamanten heraus
und fing an, sein Schwert zu schärfen.
»Sie schlafen alle«, bemerkte Hort. »Wirklich ein guter Zauber.«
»Weißt du«, erwiderte der Ritter, »ich habe oft Seite
an Seite mit Magiern gekämpft. Dabei ist mir eins klar
geworden: Wie gut ein Zauber auch sein mag, irgendetwas übersieht der Zauberer immer.« Nach kurzem Nachdenken fügte er noch hinzu: »Vor allem mein lieber
Freund Radion Sauerampfer.«
Der Barbar ließ sich die Worte durch den Kopf gehen,
holte ein Samttuch heraus und polierte seinen Streithammer.
Die sanften Böen des herbeigezauberten Windes trugen
die Tintenfisch zum Schiff der Vitamanten,
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