Lukianenko Sergej
Hammerschmieden eins
auf die Nase gekriegt, befindet sich auf dem Holzweg.
Die Gehilfen der Schmiede stehen ja die meiste Zeit am
Amboss, pressen glühendes Metall mit einer Zange zusammen oder treten den Blasebalg. Diese Beschäftigungen kommen einzelnen Muskeln zugute, nicht aber dem
Körper insgesamt. Ganz anders dagegen die Bäckerjungen, die schwere Mehlsäcke oder Bleche mit Backwaren
schleppen müssen. Obendrein kriegen Schmiedelehrlinge
nie genug zu essen, während Bäckerjungen gar nicht wissen, was Hunger ist.
Oder wenn sich Kinder kleiner Diebstähle und Gesetzesverstöße schuldig gemacht hatten, die es nicht wert
waren, von der städtischen Wache untersucht zu werden.
Waisen und Söhne, die zu Unrecht von ihren Eltern ausgepeitscht wurden, baten Trix um Hilfe. Kurz und gut, es
galt als heilige Pflicht eines jeden jungen Erben, am Beispiel seiner Altersgenossen die Bedürfnisse seines Volkes kennenzulernen.
So ging Trix denn schnurstracks in den Thronsaal.
Die Tür stand halb offen, die andere, zum Palastvorhof
führende Tür war noch verschlossen. Sein Vater saß
bereits auf dem Halben Thron, einer Metallkonstruktion,
die zwar durchaus bequem war, aber aussah, als handle
es sich nur um die Hälfte eines riesigen Throns. Hier
und da lugten die Spitzen oder Griffe von Schwertern
hervor.
»Trix«, begrüßte sein Vater ihn mit einem verschämt
warmherzigen Blick.
»Eure Hoheit.« Trix verbeugte sich und ging zu der
kleinen Bank links des Halben Throns, die ebenfalls aus
Metall und ebenfalls aus feindlichen Klingen geschmiedet worden war. Er nahm Platz. Wie schon so oft ging
ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er seinen Feinden
weit mehr Sympathie entgegenbrächte, wenn sie mit Kissen und Strohkeulen kämpfen würden.
Nun öffneten zwei Palastwachen die Tür zum Palastvorhof, damit die Untertanen zur Audienz in den Thronsaal strömen konnten.
Der Tag begann.
Entgegen allen Erwartungen waren die Ersten in der
Reihe keine Untertanen Soliers, sondern Ritter vom CoHerzog Sator Gris. Sie trugen Uniform, gemäß der Hofetikette aber keine Panzer und Waffen.
Trix äugte zu seinem Vater hoch. Der betrachtete die
Ritter mit unverhohlener Neugier.
»Eure Hoheit!« Der älteste Ritter ließ sich auf die
Knie nieder, die anderen folgten seinem Beispiel.
»Steht auf, edler Herr«, sagte der Co-Herzog Rett Solier.
»Wir sind gekommen, um unsere Entschuldigung für
die Ereignisse des gestrigen Abends vorzubringen.« Der
Ritter machte keine Anstalten, sich zu erheben. »Wir vertrauen auf die Güte Eurer Hoheit …«
Trix fing an, sich zu langweilen. Er hatte schon gehört,
dass es gestern in einer Bierstube eine Schlägerei zwischen den Rittern des Co-Herzogs Solier und denen des
Co-Herzogs Gris gegeben hatte. Zum Glück war kein
Blut geflossen. Dann sind unsere Ritter wohl gerade bei
Co-Herzog Gris, dachte Trix. Routine. Wenn sich zwei
Herrscher wie die Co-Herzöge Solier und Gris die Macht
teilten, waren solche Vorkommnisse keine Seltenheit.
»Ich nehme Eure Entschuldigung an«, sagte der CoHerzog Solier. »Steht auf, edle Herren. Ich will hoffen,
der Co-Herzog Gris lässt gegenüber meinen Rittern ähnliche Milde walten.«
Der Ritter erhob sich. Er fuhr mit der Hand über den
Metallgürtel, der sein Wams hielt, worauf dieser klackte,
sich versteifte und in eine schmale, aber äußerst scharf
aussehende Klinge verwandelte. »Davon würde ich nicht
ausgehen«, entgegnete er.
Das Türschloss war schon vor hundert Jahren eingerostet,
der Schlüssel nicht viel später verloren gegangen. Soweit
Trix wusste, waren die Gefängniszellen immer leer gewesen. Niemand hielt Wache, die Tür zum Gefängnistrakt stand stets sperrangelweit offen, die Gittertüren der
Zellen waren zwar zu, aber nicht abgeschlossen. In seiner
Kindheit war er ein paarmal hier unten gewesen, aber nie
lange, dazu war der Keller einfach zu öde. Er war nicht
einmal gruselig. Es gab wirklich nur verrostete Eisenstufen, rostzerfressene Fackelhalter, durchgerostete Türen
und angerostete Gitter. Bestimmt wären in der feuchten
Luft auch noch die Wände verrostet – wenn Stein hätte
rosten können.
Vor drei Generationen waren die Soliers zu dem klugen Schluss gelangt, dass es weit vorteilhafter war, Verbrecher den städtischen Machthabern zu übergeben, statt
sie in den eigenen Verliesen einzusperren. Es sparte nicht
nur Geld, da die Notwendigkeit wegfiel, Gefängniswächter und einen Henker zu bezahlen, sondern ließ sie
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