Lukianenko Sergej
also diese Großzügigkeit von Gris.
Das Heim war genauso wenig ein Zufall wie die gestrige
Schlägerei in der Bierstube.
Wenn in den Nachbarländern sechzig Jungen auftauchten, die alle behaupteten, der Thronerbe Trix zu sein –
wie sollte der echte Trix dann seine Identität beweisen?
Schon nach einem Monat würde selbst der brummigste
Baron über die Worte »Ich bin der Thronerbe des CoHerzogs Solier« lachen. Auch früher waren nach einem
Putsch bei Hofe überall Grafen und Herzöge aufgetaucht,
die aus den Kerkern geflohen waren, oder Erben und Erbinnen, die sich wie durch ein Wunder hatten retten können, und schließlich zahllose Bastarde. Von den ach so
treuen Dienern, die um ein Almosen baten, ganz zu
schweigen.
Auch diesmal wäre es nicht anders gewesen, es hätte
von Co-Herzögen und Co-Herzoginnen Solier, von Trixen, Rittern und Dienern gewimmelt. Sator Gris hatte
lediglich auf Nummer sicher gehen wollen, indem er die
Situation ins Absurde gesteigert hatte.
Wenn ihn der Regent Hass bloß erkannte!
»Wir müssen als Erste in Dillon sein«, sagte Trix.
»Der Regent muss sich an mich erinnern.«
»An wen?«, fragte Ian.
»An mich. An Trix Solier.«
Ian schnaubte.
»Aber ich bin Trix Solier!«, polterte Trix.
»Schon gut. Du bist Trix. Du hast ein Boot, also bist
du Trix«, lenkte Ian ein. »Aber warum willst du zu diesem Regenten?«
»Sollen wir etwa in den Dörfern um Almosen betteln?«
»Also in Dörfern … Wer weiß, was die da mit uns
machen«, sagte Ian nachdenklich. »Vielleicht sollten wir
uns einen armen, aber edlen Ritter suchen? Oder einen
Baron: Das Fürstentum Dillon mit seinen zwölf Baronen
kennt als ersten einen aus dem Geschlecht der Dillonen.
Der zweite ist Vit Kapelan, ihm schließt sich Liander als
dritter an. Als vierter ist Galan zu nennen …«
Ian ratterte die Namen verdächtig schnell herunter,
und Trix, der sich bei den Baronen immer vertat, fragte:
»Was ist das? Ein Merkreim?«
»Genau«, bestätigte Ian. »Im Fürstentum gibt es zwei
Herzogtümer und ein Co-Herzogtum, drei Marquisate,
zwölf Lehnsbarone und vier freie, die königlichen Gebiete
mit den Rittern … Wie willst du dir das alles merken? Aber
wenn du die Namen nicht runterratterst, setzt’s was!«
»Und wie merkst du dir die königlichen Ritter?«, fragte
Trix.
»Pass auf, das ist mein Lieblingsreim.« Ian hustete
und hob an: »Ritter Dogoro lebt im Osten, wo nur Felsen
stehen Posten …«
»Verstehe«, sagte Trix. »Trotzdem wirst du kein
Trix.«
»Warum nicht?«
»Weil du rothaarig bist.«
»Ist das so schlimm?«, wunderte sich Ian aufrichtig.
»Glaubst du, jemand erinnert sich an Trix’ Haarfarbe?«
Trix sann traurig darüber nach, dass alle Helden in den
Chroniken ein besonderes Merkmal hatten: einer ein
Muttermal in Form eines Schwerts, ein Herzog sogar eines in Form einer Krone, und der Marquis Daki hatte am
linken Fuß sechs Zehen. Zur Not hätte sogar ein Zauberdolch gereicht, ein Siegelring oder ein Pokal mit Wappen.
»Willst du was essen?«, fragte Trix.
Ian nickte heftig.
»Dann merk dir eins: Ich bin der echte Trix Solier.
Und du …« Trix stockte.
»Dein Bruder, der in früher Kindheit verloren gegangen ist?«, fragte Ian hoffnungsvoll.
»Nein!«
»Dann vielleicht dein treuer Knappe?«
»Ein Knappe muss vierzehn Jahre alt sein«, gab Trix
zu bedenken.
»Und genau das bin ich«, hielt Ian schlau dagegen.
»Heute habe ich Geburtstag und werde vierzehn. Wie der
echte Trix. Knappe! Mit weniger gebe ich mich nicht
zufrieden!«
»Geh auf die Knie!«, befahl Trix.
Ian kniete sich gehorsam auf den Boden des Bootes.
Trix nahm eines der Ruder in beide Hände und ließ es
vorsichtig auf Ians Schulter nieder. »Ich, der Co-Herzog
Trix Solier«, sagte er, »erkläre dich, Ian, hiermit kraft
meines Geburtsrechts zu meinem Knappen, statte dich
mit einem Wappen aus und erhebe dich in den Adelsstand. Von heute an bist du Ian … Ian, der Chevalier des
Ruders. Dein Wappen ist ein silbernes Ruder auf blauem
Grund.«
»Ginge auch ein goldenes?«, hakte Ian nach.
»Ein goldenes Ruder ginge nur für Menschen mit
blauem Blut.«
»Ein silbernes tut’s auch«, gab sich Ian zufrieden.
»Ich, der Co-Herzog Trix Solier«, fuhr Trix fort, »verpflichte mich, dich auszubilden und zu beschützen, dir
Obdach und Nahrung zu geben … soweit es mir möglich
ist.«
»Kriege ich nicht auch noch ein einmaliges Recht?«
»Ich gewähre dir das Recht, mit dem Rücken zu mir
zu sitzen«, erklärte Trix
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