Lukianenko Sergej
großherzig. »Sonst wäre das Rudern für dich zu unbequem.«
»Danke. Könnten wir dann die Sache mit der Nahrung
vielleicht gleich erledigen?«
2. Kapitel
W
ährend das alte, aber noch intakte Boot den Fluss
hinunterfuhr, beratschlagten die beiden Jungen.
»Wenn wir einen Haken und eine Sehne hätten, könnten wir einen Fisch fangen«, überlegte Ian laut. »Einen
großen.«
»Und was sollten wir mit dem machen?«, fragte Trix.
»Wie was ? Der kriegt eins mit dem Ruder über, wir
nehmen ihn aus und essen ihn. Mit Salz kannst du Fisch
auch roh essen.«
»Hast du ein Messer?«
»Nein. Und Salz auch nicht.«
»Und einen Haken und eine Sehne auch nicht. Wir
werden in Dillon … – wo kann man in der Stadt eigentlich etwas essen?«
»Weißt du denn gar nichts?«, fragte Ian verwundert.
»In Garküchen, Schenken oder Tavernen. Dann gibt es
noch die Gasthäuser, aber die sind nur für Adlige.«
»Ich bin von Adel!«
»Oh, verzeiht, das hatte ich völlig vergessen«, höhnte
Ian. »Dann werden wir selbstverständlich in einen Wirtshof gehen!«
»Wie viel Geld hast du?«, fragte Trix.
Da Ian sich mit der Antwort Zeit ließ, gab Trix ihm
einen sanften Tritt. »Drei Silberlinge«, antwortete Ian.
»Die reichen eine Weile.«
»Genau wie ich. Ich hab auch drei Silberlinge«, sagte
Trix. Den Beutel von Gris verschwieg er lieber. »Habt
ihr das Geld zusammen mit den Kleidern bekommen?«
»Das war in den Hosentaschen! Stell dir mal vor, die
haben nicht mal die Taschen kontrolliert, die Blödmänner!«
Trix seufzte. Herzog Gris hatte wirklich nicht gegeizt.
»Lass mal was über die Ahnen der Co-Herzöge Solier
und Gris hören«, sagte er.
»Weshalb sollte ich!«, sagte Ian verschlagen. »Wo du
doch selbst ein Solier bist!«
»Und du solltest etwas von den Ahnen wissen – wenn
du schon Knappe eines Soliers sein willst!«
»Im Jahr siebenhundertundfünf kam eine Karawane
aus dem Fürstentum Dillon an den Oberlauf des Flusses
Fern in den Grauen Bergen. Sie wurde von dem reichen
Kaufmann Kron Gris angeführt, Hauptmann der Wache
war Sei Solier. Und obwohl es in den Grauen Bergen
kein Gold gab, gefiel ihnen das Land und sie gründeten
das Co-Herzogtum Solier und Gris.«
Die Gründung erfolgte in Wahrheit, wie Trix wusste,
erst knapp ein halbes Jahrhundert später und ging auf den
Sohn von Sei Solier und die Tochter von Kron Gris zurück. Der König verlieh schließlich nicht jedem dahergelaufenen Abenteurer einen Titel! Aber nachdem beide
Familien ihm lange genug Steuern gezahlt hatten und
seinen Truppen zweimal zu Hilfe gekommen waren …
»Weiter«, befahl Trix. Etwas über seine Verwandten
zu wissen (und alle Adligen sind miteinander verwandt)
ist nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern auch
ausgesprochen nützlich. Wen kann man richtig kränken,
indem man ihm bei einer Feier nur Fisch vorsetzt? Wem
schmeichelt man am besten, indem man an das einzige
Turnier erinnert, das er je gewonnen hat? Trix kannte
sich da bestens aus, denn er hatte nicht nur dem Chronisten gelauscht, sondern auch viele alte Chroniken gelesen.
Und sein Knappe sollte ihm keine allzu große Schande
machen. »Und was weißt du über den Dritten Großen
Krieg?«
Gegen fünf Uhr Nachmittag sahen sie das Schloss. Trix
stellte sich an den Bug und schirmte die Augen mit der
Hand gegen die grelle Sonne ab. Das Schloss war recht
klein, die Mauern nur auf der Landseite hoch, am Ufer
aber niedrig. Immerhin wiesen sie etliche Schießscharten
auf. Über dem Hauptturm flatterte eine Fahne: zwei goldene Fische auf blauem Grund.
»Und, wem gehört das Schloss?«, fragte Ian.
»Thor Galan, dem Fischerbaron«, antwortete Trix.
»Auf besonderen Befehl von Fürst Dillon dem Belehrenden wurden die Mauern des Schlosses auf der Flussseite
um drei Viertel abgetragen. Damit sie nicht höher sind
als die Masten der fürstlichen Schiffe …«
Ian schnaubte abfällig.
»Gehen wir an Land!«, entschied Trix. »Der Fischerbaron ist ein guter Mann, das sagen alle. Ruder zum
Ufer!«
»Was glaubst du, was ich hier mache?!«, brummte Ian.
»Meine Hände sind schon ganz wund!«
»Ein Ritter hat seinem Souverän nicht zu widersprechen! Ja, er darf nicht einmal durch einen schmerzlichen
Gesichtsausdruck verraten, wie sehr er sich abmüht.«
Trix inspizierte seine Kleidung: Eine Jacke ohne Knöpfe,
zerrissene Hosen … »Zieh deine Hosen aus!«
»Was?«
»Ich muss würdevoll aussehen. Und deine Hosen sind
sauberer.«
»Soll ich etwa mit nacktem
Weitere Kostenlose Bücher