Lukianenko Sergej
neuer Freund am liebsten zurück ins Boot gesprungen wäre.
»… sind Seiner Co-Durchlaucht Trix sowie dem
Knappen Ian Gastfreundschaft und Erholung innerhalb
der Schlossmauern anzubieten!« Nachdem er Luft geholt
hatte, ergänzte er: »Ich habe Befehl, Euch mit aller Höflichkeit in das große Gästezimmer zu eskortieren und
Euch ein Bad zu richten. Der Baron erwartet Euch zum
Abendessen.«
Bis auf das Wort »eskortieren« gefiel Trix, was er gehört hatte. In Chroniken wurde man nämlich allzu oft ins
Gefängnis oder aufs Schafott eskortiert.
Mit aller Höflichkeit, versteht sich.
Ian stapfte von der Wand mit dem Fenster zur Wand mit der
Tür. »Pah!«, rief er. »Acht Schritt! Wie sieht denn bei denen
das kleine Gästezimmer aus, wenn das hier das große ist?«
»Das ist noch kleiner«, versicherte Trix. »Das hier ist
das große, ganz bestimmt. Vor drei Jahren, als der alte
Baron Dillon noch lebte, waren wir einmal zu einem
abendlichen Gelage hier. Oder war es vor vier Jahren?«
»Und da musstet ihr euch alle in dieses Zimmer quetschen?«, fragte Ian ungläubig.
»So viele waren wir ja nicht. Meine Eltern haben in
dem Bett geschlafen, ich auf der Bank vorm Fenster.«
Ian warf einen zweifelnden Blick auf die Bank.
»Damals war ich doch noch kleiner, du Holzkopf. Der
Hauptmann der Wache hat an der Tür geschlafen, die
Dienerschaft im kleinen Gästezimmer. Das Gesinde im
Hof und im Stall …«
Jemand klopfte an die Tür, wartete mit dem Öffnen aber
nicht, bis er dazu aufgefordert wurde. Zwei kräftige Lakaien in ausgeblichenen Livreen – erhabenes Gelb auf edlem
Blau, die Farben des Barons – kamen herein. Sie schleppten einen gewaltigen Holzzuber mit heißem Wasser. Ihnen
folgte eine strenge, nicht mehr junge Frau, die zwei Leinentücher und eine Schale mit Kräuterseife brachte.
Dass man ihnen die gebührende Ehre erwies, ließ Trix
Mut fassen.
Sobald die Diener das Zimmer wieder verlassen hatten, zog er sich aus und stieg in den Zuber.
»Und ich?«, fragte Ian beleidigt.
»Du hast doch heute schon gebadet. Oder hast du das
vergessen? Und überhaupt wäscht sich ein Knappe immer erst nach seinem Herrn.«
Ian nuschelte etwas davon, dass er sich, gerade weil er
heute schon gebadet habe, als Erster waschen müsse, setzte
sich ans Fenster und schaute in den Schlosshof hinaus.
Trix wusch sich und seifte sich mit besonderer Freude
den Kopf ein. Obwohl er es für die Aufgabe des Knappen
hielt, dem Herrn den Schaum abzuspülen, verzichtete er
darauf, Ian einen entsprechenden Befehl zu erteilen, und
griff selbst nach der Kanne. Letztlich war Ian ein unerfahrener Knappe, niederer Herkunft und deshalb von Natur aus aufsässig.
Schließlich trocknete er sich mit dem groben, aber
sauberen Tuch ab und zog sich an. »Du kannst dich jetzt
waschen, mein treuer Knappe«, sagte er.
Misstrauisch betrachtete Ian das mit schmutzigem
Seifenschaum bedeckte Wasser. Er tauchte einen Finger in den Zuber, musterte ihn gründlich und wischte
ihn an den Hosen ab. »Werd mich wohl doch nicht waschen«, erklärte er. »Hab ich ja heute schon hinter mir.
Und sich zweimal am Tag zu waschen, das bringt Unglück.«
»Wie du meinst.« Trix legte es nicht auf einen Streit
an, ihm konnte es nur recht sein, wenn der Knappe
schmutziger war als sein Herr. »Bei dem feierlichen
Abendessen zu meinen Ehren stehst du hinter mir. Wenn
ich die rechte Hand hebe, legst du mir die Serviette hinein. Wenn ich dir den Teller hinhalte, darfst du die Reste
aufessen, bevor du ihn an den Diener weiterreichst. Und
vergiss ja nicht, mir Wein einzuschenken. Der Becher
muss immer voll sein.«
»Verstanden«, sagte Ian traurig.
»Keine Angst«, beruhigte ihn Trix. »Ich esse nur die
Hälfte und gebe dir dann den Teller. Und bevor du Wein
nachschenkst, darfst du den Rest aus dem Becher austrinken. Ich werde sagen, das sei ein Zeichen meiner besonderen Güte.«
Das hörte sich schon besser an, fand Ian.
Der Fischerbaron hatte sich nicht verändert, seit Trix mit
seinen Eltern im Schloss zu Besuch gewesen war. Nur
sein Bauch war noch runder, sein Gesicht röter, und die
Nase überzog ein rotes Netz aus kleinen Adern. Galan
saß auf einem vergoldeten Holzthron. Die kleine Baronenkrone, ein goldener Reif mit einem einzigen roten
Stein, hatte er gerade abgenommen, um sich den Schweiß
von der Stirn zu wischen.
Der Blick des Barons war noch immer fest, klug und
wach. Als er kurz zu den Jungen, die vor dem Thron
standen, hinsah, wusste Trix,
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