Lukianenko Sergej
Tropfen«, sagte Sauerampfer.
»Dann hängt noch viel von den Hofmagiern ab«, fuhr
Trix fort. »Die halten sich ja alle für die Größten. Wenn
mein Vater irgendeinem anderen Zauberer etwas gegeben
hätte, wäre unser Hofmagier sauer gewesen und hätte
auch etwas gewollt.«
»Verstehe«, brummte Sauerampfer.
»Obwohl mein Vater eigentlich gut … war.« Trix verstummte und wandte den Blick ab.
Eine Zeit lang liefen sie schweigend weiter, bis der
Zauberer schließlich seine Hand auf Trix’ Schulter legte:
»Schäme dich deiner Tränen nicht, mein Schüler. Es ist
gut, dass du deine Eltern liebst! Aber wir alle sterben,
früher oder später.«
»Bis auf die Vitamanten«, sagte Trix, der sich seiner
Schwäche doch schämte.
»Hättest du lieber einen Vater wie Ritter Aradan gehabt?«, fragte Sauerampfer. »Und er war ja noch nicht
mal ein wiederbelebter Toter, sondern ein Lich. Außerdem entgeht am Ende eh niemand dem Tod!«
»Was kommt eigentlich nach dem Tod?«, fragte Trix.
»Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen«,
antwortete Sauerampfer bereitwillig. »Einige Wissenschaftler behaupten, der Tod sei das allumfassende Nichts.
Was für ein Unsinn! In den Sagas der Barbaren heißt es,
kühne Krieger bekämen nach dem Tod ein Schloss, jede
Menge schöner Frauen, einen Haufen Diener, ein persönliches Schlachtfeld sowie eine unbegrenzte Zahl von
Feinden. Wenn du mich fragst, ist das ebenso ermüdend
wie langweilig. Die Samarschaner Mystiker glauben daran, dass nach dem Tod die Höchste Gottheit alle Sünden
sammelt und an deine Füße hängt, während sie aus den
guten Taten ein Seil knüpft. An diesem Seil musst du
dann aus der Schlucht der Leiden auf den Berg der Wonnen klettern. Dabei darf die Höchste Gottheit dich anpusten. Ich erinnere mich leider nicht mehr, in welchen Fällen von unten und in welchen von oben …«
Trix, der sich in Fragen der Theologie nicht sonderlich
gut auskannte, war so fasziniert von dem Thema, dass die
eines Zauberers unwürdigen Tränen von selbst auf seinen
Wangen trockneten.
»Unsere Priester glauben, früher hätten siebzehn Götter und Göttinnen die Welt beherrscht, die aber alle nur
unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit jener Höchsten Gottheit darstellten. Mach dir mal klar, wie komplex
und vielseitig diese sein muss! Es gab einen Gott des
Krieges, einen der Medizin, des Wetters und so weiter
und so fort. Irgendwann langweilte es die Höchste Gottheit aber, sich von außen mit den Kleinigkeiten der Menschen zu befassen, und sie beschloss, selbst die Gestalt
eines Menschen anzunehmen, ein Leben voller Schmerzen
und Entbehrungen zu durchleben und auf diese Weise das
Menschengeschlecht und die ganze Welt zum Besseren zu
verändern.«
»Hat das geklappt?«
»Auch darüber ist man sich nicht ganz einig«, antwortete Sauerampfer seufzend. »Die Orthodoxen glauben, ja.
Deshalb würden die Menschen nach dem Tod jetzt auch
in eine schöne neue Welt kommen. Die Häretiker dagegen behaupten, dass die Höchste Gottheit nach dieser
Erfahrung dermaßen von den Menschen enttäuscht war,
dass sie die Welt für immer verlassen und sich der
Selbsterkenntnis verschrieben habe. Ihrer Ansicht nach
schweben alle Menschen nach dem Tod als unsichtbare
Geister um die Höchste Gottheit herum und warten darauf, dass sie mal Zeit für sie habe. Die Medizinmänner in
den Bergen sind wiederum davon überzeugt, dass die
Gottheit schlafe und unsere Welt ihr Albtraum sei. Nach
dem Tod würden die Menschen neu geboren, ohne sich
an etwas aus ihrem vergangenen Leben zu erinnern. Gute
Menschen werden klug, schön und reich wiedergeboren,
schlechte als monsterhafte arme Dummköpfe. Deshalb
töten die Bergmenschen normalerweise gleich alle Missgeburten, verkaufen die Armen als Sklaven und verspotten die Dummen, weil diese Menschen in ihrem letzten
Leben schlimme Fehler begangen haben.«
»Und wer hat nun recht?«, fragte Trix.
»Wer soll das wissen?« Sauerampfer zuckte mit den
Achseln. »Ein paarmal haben große Zauberer versucht,
sich mithilfe der Magie mit der Höchsten Gottheit in
Verbindung zu setzen und zu erfahren, worin der Sinn
des Lebens besteht und was nach dem Tod auf uns wartet. Die Erste Vollversammlung der Zauberer hat zum
Beispiel mit vereinten Kräften einen derart kräftigen
Fragezauber zustande gebracht, dass sie sogar eine Antwort bekamen.«
»Welche?«
»Ein Geranientopf am Fenster ist mit greller Flamme
explodiert und hat drei Tage und drei
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