Lukianenko Sergej
Zauberer ein rundum zufriedener Mann. Für Trix, Ian und Hallenberry hatte er
ein Zimmer gemietet, er selbst brach auf, um das »berühmte Nachtleben Gibeas« kennenzulernen.
Trix sollte es recht sein. Die drei Jungen waren so müde,
dass sie auf der Stelle ins Bett fielen. Hallenberry schlief
sofort ein, Ian zog immerhin vorher die Stiefel aus. Annette sah kurz zum Fenster in den immer stärker werdenden Regen hinaus und kroch dann in die Tasche von
Trix’ Umhang.
Auch Trix blieb nicht mehr lange wach. Im Licht der
einzigen Kerze betrachtete er noch das Buch Tiana und
kämpfte gegen die Versuchung an, es zu öffnen und zu
lesen. Schließlich schob er es unters Kopfkissen, blies die
Kerze aus und schlief ein.
Am Morgen fanden sie Radion Sauerampfer im Zimmer vor, obwohl Trix sich genau erinnerte, vor dem
Schlafengehen die Tür verriegelt zu haben. Der Zauberer
war mürrisch und einsilbig, anscheinend hatte die Bekanntschaft mit dem Nachtleben der Stadt ihm keine
rechte Freude gebracht.
»In einer guten Kutsche brauchen wir bis zur Hauptstadt weniger als eine Woche«, erklärte er, ohne sich an
jemand Bestimmten zu wenden. »Zu Fuß drei Wochen.
Wenn es schneit, noch länger.«
»Hier schneit es nicht oft«, sagte Ian. »Und was sind
schon drei Wochen …«
»Zauberer gehen nicht zu Fuß!«, entgegnete Sauerampfer stolz. »Und drei Wochen … für dich mag das
nichts sein, aber für mich, der ich nicht mehr jung bin, ist
das ein beachtlicher Zeitraum!«
Da Trix wusste, wie viel Sauerampfer gestern für das
Pferd und den Wagen erhalten hatte, erkundigte er sich
schüchtern: »Reicht unser Geld denn nicht, um eine Kutsche zu mieten?«
»Jetzt nicht mehr«, knurrte der Zauberer.
»Dann müssen wir wohl etwas verdienen«, schlug
Trix vor.
»Merk dir eins, mein Junge: Mehr als alles andere auf
der Welt … das heißt natürlich, gleich nach dem Zufußgehen … mögen Zauberer es nicht … zu arbeiten!« Das
letzte Wort spie Sauerampfer voller Verachtung aus. »Wir
Magier lieben es, uns Zaubersprüche auszudenken. Den
Wettstreit untereinander! Sogar den Kampf! Aber arbeiten
…« Er verstummte kurz, um dann fortzufahren: »Aber
uns bleibt wohl nichts anderes übrig. Allerdings habe ich
nicht die Absicht, Händlern zu helfen, sich eine goldene
Nase zu verdienen. Wasch dich und bring die Umhänge
in Ordnung, wir gehen zu einer Audienz zum Baron!«
»Mein Umhang ist sauber!«, prahlte Trix.
»Aber meiner nicht!«, fuhr ihn Sauerampfer an.
»Und bitte in der Küche um ein Stück Fett, das wickelst du in einen Lappen ein und bringst meine Stiefel
auf Hochglanz. Halt, Trix, jetzt fällt mir etwas ein!
Kennst du Baron Ismund vielleicht? Oder kannte dein
Vater ihn?«
»Ich glaube nicht«, sagte Trix.
»Er soll ein seltsamer Mann sein, dieser Ismund«, erklärte Sauerampfer. »Das Volk liebt ihn. Aber alle versichern, dass sich der Baron auf nichts besser versteht als
aufs Glücksspiel. Gut, mach dich jetzt an die Arbeit!«
Trix brauchte nicht lange, um den Umhang des Zauberers zu säubern und die Schuhe mit Speck zu polieren.
Sauerampfer wusch sich derweil in einem Zuber und rieb
sich mit südlichen Duftwässern ein (wahrscheinlich als
Tribut an die Samarschaner Wurzeln des Barons). Ian
und Hallenberry sollten sich in ihrer Abwesenheit anständig benehmen, einsame Orte meiden (Sauerampfer
deutete an, im nahen Samarschan würden minderjährige,
hellhäutige Sklaven sehr geschätzt) und zum Abend in
die Schenke zurückkehren. Mehr als alle anderen erschreckte diese Warnung Annette. Sie wollte von Trix
wissen, ob sie gebraucht werde, und bot von sich aus an,
ein Auge auf die Jungen zu haben.
»Eine Blumenseele«, bemerkte Sauerampfer, als er
und Trix die Schenke verließen. »Immer am Schimpfen
– aber am Ende macht sie sich doch Sorgen. Magische
Wesen tragen eben nicht immer nur das Böse in sich.«
»Glaubt Ihr, dass uns der Baron hilft, Herr Zauberer?«,
fragte Trix.
»Was meinst du denn? Was hätte dein Vater gemacht,
wenn ein … äh … ein bekannter und respektierter Zauberer zu ihm gekommen wäre, der um eine Kutsche gebeten
hätte, weil er in einer wichtigen Angelegenheit zum König
in die Hauptstadt muss?«
»Das hätte von seiner Laune abgehangen«, antwortete
Trix ehrlich. »Abends und angeheitert hätte er sie ihm
vielleicht gegeben. Aber morgens und grummelig – da
hätte er den Zauberer weggejagt. Oder ihm irgendein Lügenmärchen aufgetischt.«
»Ismund trinkt keinen
Weitere Kostenlose Bücher