Lukianenko Sergej
stürzen … und konnte es nicht. Wer dem Tod einmal davongelaufen ist, will ihm nie wieder begegnen.«
Sauerampfer nickte.
»Was ist, Zauberer?«, sagte der Ritter. »Hilfst du mir?«
»Ja«, sagte Sauerampfer.
»Aber denk daran: Ich werde mich wehren«, warnte
ihn Aradan. »Dieser Drang ist stärker als ich!«
»Ruhmreicher Ritter Giran Aradan«, verkündete Sauerampfer feierlich. »Du hast König wie Königreich viele
Jahre lang gedient. Du zeigtest beispiellose Treue und
vorbildlichen Mut. Du trägst keine Schuld daran, dass du
nicht sterben willst. Um deines Sohnes willen, um des
zukünftigen Ritters willen, hast du dir diese schwere
Bürde aufgeladen …«
Der Alte fing an, sich krampfhaft auf dem Bett hin und
her zu winden. Zunächst schob Trix das auf den Zauber.
Dann aber flog die Decke weg, und es zeigte sich, dass
die Arme und die Beine des Halblichs mit dicken Schnüren ans Bett gefesselt waren. Als sich der knochige Körper des Alten erneut bäumte, knirschten die Seile.
Schließlich barst das Bett. Thymin schlug die Hände vors
Gesicht und wandte sich ab.
»Möge dein gequälter Körper nun Ruhe finden, möge
deine gepeinigte Seele dem Fluch entkommen, möge
dein halb totes, halb lebendes Fleisch zerfallen … Asche
zu Asche! Friede der Welt! Die Lebenden oben auf der
Erde! Die Toten unten unter der Erde!«
»Aaaah!«, brüllte der Halblich und riss mit einem
letzten Ruck die Seile an den Armen und ein Seil an den
Beinen durch. Er sprang auf und stürzte sich auf Sauerampfer, das Bett am letzten Seil hinter sich herschleifend.
»Möge dein toter Körper wieder Zersetzung und Vermoderung anheimfallen!«, rief Sauerampfer, der inzwischen leicht nervös wurde. »Der Zerfall ist stärker als die
Synthese! Von sich aus vermag das Wesen Giran Aradan
nichts mehr auszurichten. Von nun an bedarf es für Bewegung und Entwicklung einer äußeren Quelle!«
Der Halblich, der grüner und grüner wurde, streckte
die dürren Hände nach Sauerampfer aus. Aus den Fingern wuchsen lange, krumme Krallen. Und zwar rasant.
Da wischte sich der Knappe Thymin die Tränen ab,
stand auf, zog das Schwert aus der Scheide, machte einen
Schritt und schlug seinem ehemaligen Herrn mit einem
einzigen Hieb den Kopf ab.
»Die höhere Form jener materiellen Existenz, die uns
als Giran Aradan bekannt war, stellt ihr Dasein ein …«,
murmelte Sauerampfer. Anscheinend konnte er nicht ohne
Weiteres auf die neue Situation umschalten.
»Als Herr Aradan noch ein Mensch war, hat er immer
gesagt, gegen einen Lich gebe es nichts Besseres als ein
scharfes Schwert«, erklärte Thymin, während er das
Schwert an den langen Unterhosen des Alten abwischte.
»Man muss zuschlagen, hat er gesagt, solange der Zauberer seinen Spruch nuschelt, denn die Untoten haben keine
Fantasie und sind deshalb gegen jeden Zauber gefeit.«
»Sicher, zweifellos«, sagte Sauerampfer mit einem
Blick auf Trix. »Du bist mir … eine Hilfe gewesen,
Thymin.«
Der Knappe steckte das Schwert zurück in die Scheide
und sah den Zauberer an. »Was sollen wir dem König
schreiben?«
»Dass … dass …« Sauerampfer setzte sich und sah
traurig auf die Gebeine des Halblichs, der langsam zu
grauer Asche zerfiel. So seltsam das auch klingen mag,
es war kein ekelhafter Anblick, das Ganze hatte eher
eine eigene, traurige Schönheit. »Wir werden schreiben:
dass sein ruhmreicher Ritter Giran Aradan nach einem
langen und würdigen Leben in die andere Welt eingegangen ist. Und dass es sein letzter Wunsch war, sein
junger Sohn, der davon träumt, in die Fußstapfen des
Vaters zu treten, möge nicht ohne Schutz und Fürsorge
bleiben.«
»Danke, Herr Zauberer«, sagte Thymin. »Ich habe mir
große Sorgen um das Schicksal des Jungen gemacht.«
»Wie sollte es auch anders sein?«, entgegnete Sauerampfer.
Die beiden Männer sahen einander an. Als Erster
senkte Thymin den Blick.
»Sicher, ich habe mich um Aradans Gesundheit gekümmert«, sagte Sauerampfer. »Er hat neue kräftige
Zähne gekriegt, die bis heute nicht ausgefallen sind. Aber
dass er mit über hundert Jahren Vater wurde … tut mir
leid, Thymin, das glaube ich dir einfach nicht.«
»Aber Herr Aradan hat es geglaubt«, sagte Thymin.
»Und meine Frau auch.«
»Umso besser«, sagte Sauerampfer. »Auf diese Weise
stirbt das ruhmreiche Geschlecht der Aradans nicht aus,
deine Frau nimmt dir nichts übel und die tote Frau Aradans hatte in dieser Ödnis wenigstens etwas Spaß. Vergessen wir die Geschichte also,
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