Lukianenko Sergej
auch
gut dastehen, da die Soliers dann ja nicht für die Entscheidungen des Gerichts verantwortlich waren. Als Zugabe traf es auch noch die Verbrecher härter, denn ein
Gericht mit neun anonymen Schöffen fällt strengere Urteile als ein einzelner Co-Herzog, warum auch immer.
Man hatte auch gar nicht erst versucht, die Tür hinter
Trix abzuschließen, sondern einfach eine Zelle mit halbwegs stabiler Gittertür ausgesucht. Dann hatte ein wortkarger Schmied in einem tragbaren Schmelzofen einen
Eisenstab zum Glühen gebracht und die Tür damit zugelötet.
Das sicherste Schloss auf der Welt ist nun mal eines
ohne Schlüssel.
Trix saß in einer Ecke der Zelle auf seiner Jacke. Die
Kleidung hatten sie ihm gelassen, nur die Knöpfe abgeschnitten und den Gürtel aus den Hosen sowie die
Schnürsenkel aus den Stiefeln gezogen. Damit er sich
nicht umbrachte? Eine Zeit lang stellte sich Trix schadenfroh vor, wie er die Ärmel der Jacke abriss, einen Strick
daraus knüpfte und sich an der Gittertür erhängte. Hatte
sich nicht einer seiner Vorfahren, Kelen Solier, bloß mit
dem Taschentuch aufgehängt, mit dem seine zahlreichen
Wunden verbunden gewesen waren?
Doch schon in früher Kindheit hatte Trix die Sache
mit dem einen Taschentuch, mit dem zahlreiche Wunden
verbunden gewesen sein sollten, kaum glauben können.
Außerdem wären seine Feinde vermutlich gar nicht traurig, wenn sie den jungen Co-Herzog mit heruntergerutschten Hosen und heraushängender Zunge am Gitter
baumeln sähen. Im Gegenteil, er würde ihnen damit nur
auf den Thron verhelfen. Nein, besser, er ließ sich zum
Tode verurteilen, mit allem, was dazugehörte: ein korruptes Gericht und die Anwesenheit seines treulosen
Volkes. Da würde er seinen großen Auftritt haben. Genau
wie sein Vorfahr Diego Solier, dessen Rede auf dem
Schafott sogar den Henker zu Tränen gerührt hatte. Oder
wie Renada Solier, die Räubern in die Hände gefallen
war, sie aber mit einer flammenden Rede überzeugen
konnte, ihr verbrecherisches Handwerk aufzugeben und
der Palastwache beizutreten.
Trix schnaubte. Sicher, er war erst vierzehn und
schwärmte für alte Chroniken – aber so naiv war er nun
auch wieder nicht! Diego Solier war geköpft worden,
selbst wenn der Henker geheult hatte, als er das Beil
schwang. Und Renada Solier musste den Chef der Räuberbande drei Tage und drei Nächte überreden, wobei
Trix den unklaren Eindruck hatte, die Nächte seien dabei
wesentlich wichtiger gewesen als die Tage.
Es ist leicht, von Heldentum zu träumen, während man
die zarten, vergilbten Seiten der alten Chroniken umblättert. Weitaus schwieriger ist es, wenn die Werkzeuge des
Folterknechts deine eigenen zarten Finger zerquetschen.
Natürlich war Folter im Herzogtum streng verboten,
mit Ausnahme jener Fälle, die klar und eindeutig geregelt
waren. Foltern, um den Thronverzicht herbeizuführen,
das tauchte allerdings nirgends auf. Überhaupt war die
Folter eines Kindes – und nach den Gesetzen des Herzogtums galt Trix immer noch als minderjährig – nur in
Anwesenheit eines Arztes, eines Priesters oder einer
»guten Frau aus dem Volk« erlaubt, welche die Prozedur
jederzeit unterbrechen konnten.
Leider gab es etliche Formen der Folter, die keine
Spuren hinterließen. Nachdem Trix einmal mit stockendem Atem knapp die Hälfte des Handbuchs für den ehrlichen Inquisitor gelesen hatte, machte er sich da keine
falschen Hoffnungen. Die würden mit ihm machen, was
sie wollten. Schließlich war es auch strikt verboten, einen
Co-Herzog zu stürzen.
Trix stand auf, tigerte durch die Zelle und versuchte,
die Beine zu lockern. Dabei musste er die Hosen festhalten, die ständig herunterrutschten. Drei mal drei Schritt,
was für ein Albtraum! Konnten Menschen wirklich jahrelang in solchen Verliesen sitzen? Bestimmt nicht! Doch
eine gemeine Stimme in seinem Innern flüsterte: »Du
wirst es schon noch rauskriegen!«
Trix schüttelte den Kopf. Undenkbar! Entweder würden sie mit ihm darüber verhandeln, dass er auf den
Thron verzichtete – oder ihn ermorden. Wenn sie ihn hier
unten vermodern ließen, würden sie sich ihr eigenes Grab
schaufeln. Das bewiesen alle Schauspiele und Balladen.
In denen fand sich stets ein treuer Diener, der seinen
Herrn befreite. Oder der Held grub heimlich einen Gang
aus dem Verlies. Und dann scharte er eine Armee um
sich und ließ seinen Zorn an den Halunken aus.
Genau! Auch er würde seinen Zorn an ihnen auslassen!
Trix griff nach dem
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