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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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war zu viel. Wenn er die Dumpfheit fühlte im Kopf, musste er toben, sich mit aller Kraft zur Wehr setzen gegen die Diebe.
    Kein Arzt kam auf den Gedanken, dass die Medikamente ihn um sein Gedächtnis, den Motor seines Lebens, den letzten Halt in der Gefangenschaft brachten. Dabei war allgemein bekannt, in welcher Weise verschiedene Stoffe das Gehirn beeinträchtigten. Als die Medikamente abgesetzt wurden, zeigte sich wieder der Ben, von dem seine Mutter all die Jahre vehement behauptet hatte: «Er ist gutmütig und völlig harmlos.»
    Seiner Entlassung in die Freiheit stand nichts mehr im Weg.
     
    Ich sage es ungern, aber es war so. Für mich war Ben an diesem trüben Mittwoch im März 96 nicht viel mehr als ein Hund, der mich zu den Leichen führen sollte. Trude hatte mit ihrer Aussage, Ben wisse, wo die Leichen dervermissten Mädchen lägen, den Stein ins Rollen gebracht. Nun wollte ich den Fall nur noch abschließen und mir nicht auch noch Gedanken über Bens Zukunft machen.
    Es war der 20.   März 96, Frühlingsanfang. Morgens um neun Uhr holte ich Trude ab. Sie war sehr gefasst, bis sie ihm gegenübertrat.
    Die Tür stand offen. Er saß mit gesenktem Kopf auf dem Bett und schaute teilnahmslos hoch, als wir hereinkamen. Für mich hatte er keinen Blick, obwohl er mich vermutlich auf Anhieb erkannte. Aber ich war nur die Frau mit Fragen und Fotos.
    Sekundenlang schaute er seine Mutter mit gerunzelter Stirn an, als müsse er sie erst noch irgendwo einsortieren. Trude war immer eine stattliche Frau gewesen, die schwere Krankheit und das Begreifen ihrer Schuld hatten sie ausgezehrt. Ein blasses, verhärmtes Gesicht, die Kleidung schlotterte um den mageren Körper. Unvermittelt riss er sie an sich, umklammerte sie mit beiden Armen. Wohl zwanzigmal stammelte er: «Fein.»
    Seine Wiedersehensfreude verschaffte Trude die Zeit, ihre Fassung zurückzugewinnen. Als er sie endlich losließ, strich sie ihm über die Wange und sagte: «Wir fahren jetzt mit dem Auto nach Hause. Da musst du aber ganz lieb sein.»
    Er war lieb, obwohl er hinten einsteigen musste, wozu man ihn früher nur unter erheblichem Zwang gebracht hatte. Aber Trude setzte sich zu ihm. Und ich glaube, er hätte sich auch hinter dem Wagen herschleifen lassen, wenn das der Preis gewesen wäre, wieder nach Hause zu kommen.
    Es war kurz nach Mittag, als wir zurück auf den Hof kamen. «Ich koche uns erst mal was», sagte Trude, als wir das Haus betraten. «Das habe ich schon vorbereitet. Und er hat sicher Hunger.»
    Während sie am Herd stand, saß ich mit ihm am Tisch in der gemütlichen Wohnküche und versuchte, ihn auf eine Befragung einzustimmen. Ich war gut vorbereitet, konnte seinen beschränkten Wortschatz interpretieren und hatte von den Psychiatrieärzten ein paar nützliche Tipps erhalten, wie man mit ihm umgehen musste. Aber ich scheiterte kläglich. Egal, was ich sagte oder fragte, Ben überhörte es geflissentlich und ließ die Augen nicht von seiner Mutter.
    Nachdem wir gegessen hatten, holte Trude ein Vanilleeis aus der Gefriertruhe, um seine Bereitschaft zu fördern, und brachte auf einem Weg seinen Klappspaten aus dem Keller mit. Ich zeigte ihm noch einmal die Fotos der beiden jungen Frauen. Und Trude fragte schlicht: «Weißt du, wo die Mädchen sind?»
    Er nickte.
    «Zeigst du es uns?», fragte Trude. «Ich freu mich sehr, wenn du es uns zeigst. Frau Halinger freut sich auch sehr. Du magst doch Frau Halinger. Sie war so nett zu dir, hat uns im Auto nach Hause gefahren.»
    Er schaute mich an und nickte noch einmal. Ob sich das auf die Fahrt oder auf seine Gefühle für mich bezog, war nicht ersichtlich. Dann ging er gemächlich vor uns her zu dem breiten Feldweg hinunter, der hinter den Gärten der an der Bachstraße gelegenen Häuser vorbeiführte. Er war untrainiert, längst nicht mehr so schnell, wie Trude es von ihm gewohnt war. Abgesehen davon genoss er es auch, der erste Weg in Freiheit, da legte man keine große Eile an den Tag.
    Wir konnten mühelos mit ihm Schritt halten. Trude suchte mit den Augen die offenen Gärten ab. Viele waren es nicht. Die meisten hatten sich mit hohen Hecken oder Mauern abgeschirmt. Trudes Mienenspiel sagte mehr als jedes Wort: Hoffentlich sieht uns keiner. Ich hatte vorgeschlagen,im Auto zu fahren. Aber das hätte nicht viel Sinn gehabt. Wie hätte Ben mir begreiflich machen sollen, welche Richtung ich einschlagen und wo ich anhalten sollte?
    Wir hatten Glück, kamen ungesehen bis zur Apfelwiese, so genannt

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