Lullaby (DE)
großes, nach Leder riechendes Maklerauto ist nirgendwo zu sehen.
Mona blickt an sich hinunter auf die braunen Stilettos, das maßgeschneiderte Kostüm mit Schulterpolstern und Biesen, Puppenkleider mit riesigen Topasknöpfen, sie blickt auf ihren kurzen Rock und sagt: »Frag mich nicht, wie das passiert ist.« Sie hebt die Hände, ihre schwarzen Fingernägel sind rosa lackiert, mit weißem Rand. Mona sagt: »Richten Sie Mrs. Boyle bitte aus, dass ich es nicht mag, wenn man meinen Körper entführt und irgendwelchen Scheiß mit mir anstellt.« Sie zeigt auf ihren starren Haarballon, ihre mit Rouge gefärbten Wangen und die rosa bemalten Lippen und sagt: »So was nenne ich Modeterror.«
Mit ihren neuen rosa Fingernägeln schlägt Mona die Kofferraumklappe zu. Sie zeigt auf mein Hemd und sagt: »Hat’s mit deinem Freund eine blutige Auseinandersetzung gegeben?«
Die roten Flecken sind Chili, sage ich.
Das Grimoire, sage ich. Ich hab’s gesehen. Die rote Menschenhaut. Das tätowierte Pentagramm.
»Das hat sie mir gegeben«, sagt Mona. Sie macht ihre kleine braune Handtasche auf, greift hinein und sagt: »Sie hat gesagt, sie braucht es nicht mehr. Wie gesagt, sie war ganz außer sich. Sie hat geweint.«
Mit zwei rosa Fingernägeln zupft Mona ein gefaltetes Blatt Papier aus ihrer Handtasche. Es stammt aus dem Grimoire, es ist die Seite, auf der mein Name steht. Sie hält es mir hin und sagt: »Pass auf dich auf. Ich vermute, jemand in der Regierung trachtet dir nach dem Leben.«
Mona sagt: »Ich glaube, Helens kleiner Liebeszauber ist nach hinten losgegangen.« Sie stolpert über ihre braunen Stilettos, lehnt sich ans Auto und sagt: »Ob du’s glaubst oder nicht, aber wir tun das alles nur, um dich zu retten.«
Oyster liegt bei ihr auf der Rückbank, zu still, zu vollkommen für einen Lebenden. Sein kaputtes blondes Haar spreizt sich über das Polster. Der Hopi-Medizinbeutel hängt noch um seinen Hals, Zigaretten rutschen daraus hervor. Die roten Narben von Helens Autoschlüsseln auf seinen Wangen.
Ich frage, ob er tot ist.
Und Mona sagt: »Das hättest du wohl gern.« Sie sagt: »Nein, der wird schon wieder.« Sie setzt sich ans Steuer, lässt den Motor an und sagt: »Du musst Helen suchen. Beeil dich. In ihrer Verzweiflung ist sie leider zu allem fähig.«
Sie schlägt die Wagentür zu und setzt rückwärts aus der Parklücke.
Durchs Fenster schreit Mona: »Versuch’s in der Klinik Neues Leben.« Sie fährt davon und schreit: »Hoffentlich kommst du nicht zu spät.«
43
In Zimmer 131 der Klinik Neues Leben funkelt der Fußboden. Die Linoleumfliesen knarzen und knacken unter meinen Sohlen, während ich über die roten und grünen, gelben und blauen Scherben und Splitter schreite. Die Diamanten und Rubine, Smaragde und Saphire. An Helens Schuhen, am rosa und am gelben, sind die Absätze zu Brei geschlagen. Die ruinierten Schuhe liegen mitten im Zimmer.
Helen steht an der hinteren Wand, im Licht einer Lampe, gerade noch im Lichtkegel einer Tischlampe. Ihr Oberkörper liegt auf einem kleinen Stahlschrank. Ihre Hände spreizen sich auf dem Metall. Sie presst die Wange daran.
Meine Schuhe knacken und malmen die Farben auf dem Fußboden, und Helen dreht sich um.
Ihr rosa Lippenstift ist mit Blut verschmiert. An dem Schränkchen klebt ein Kuss aus Rot und Rosa. Wo sie gelegen hat, befindet sich ein graues Sichtfenster, und darunter ist etwas, zu vollkommen, zu weiß für einen Lebenden.
Patrick.
Der Reif an den Rändern des Fensters schmilzt schon, Wasser tropft aus dem Stahlkasten.
Und Helen sagt: »Da bist du ja«, und ihre Stimme ist ganz belegt. Blut quillt ihr aus dem Mund.
Ich brauche sie nur anzusehen, und schon tut mir der Fuß weh.
Bei mir ist alles in Ordnung, sage ich.
Und Helen sagt: »Das freut mich.«
Ihr Kosmetikkoffer ist auf dem Boden ausgekippt. Zwischen den Scherben liegen verdrehte Ketten und Fassungen, Gold und Platin. Helen sagt: »Ich habe versucht, die größten zu zertrümmern«, und hustet sich in die Hand. »Den Rest habe ich zu kauen versucht«, sagt sie und hustet, bis ihre ganze Handfläche voll Blut und weißen Splittern ist.
Neben dem Kosmetikkoffer liegt in einer grünen Pfütze eine ausgelaufene Flasche Abflussreiniger.
Ihre Zähne sind verwüstet, blutige Lücken und Löcher in den Reihen. Sie legt das Gesicht an das graue Fenster. Ihr Atem beschlägt das Glas, sie streicht sich mit der blutigen Hand über den Rock.
»Ich will nicht mehr dahin zurück, wie es
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