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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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richtig schön dort gewesen. Im Garten hat es sogar Erdbeeren gegeben. Nur ist erstens weit und breit keine Schule gewesen, und zweitens hat ihr doch schon das Zeugnis von der ersten Klasse gefehlt, und drittens hat sie auf ihren Baby-Bruder aufpassen müssen. Wenn ihre Eltern auf Jahrmärkte oder Kirtage gefahren sind oder Wohnungsräumungen gemacht haben, haben sie den kleinen Kerl ja nicht mitnehmen können.
    „Aber jetzt“, hat die Loretta gesagt, „wo wir das Haus von der Großtante vom Papa geerbt haben und ein bissl Geld auch noch dazu und der Hank im Waldviertel ist, wird alles anders.“

    Sie ist zu einem Bananen-Karton gegangen, hat drin herumgekramt und einen Packen Hefte rausgeholt. „Ich habe aber sowieso immer gelernt. Aus den Schulbüchern, die ich in den Wohnungen gefunden habe, die wir geräumt haben.“ Sie hat Glatze den Heftestoß in den Schoß gelegt, und Glatze hat das oberste Heft aufgeschlagen und durchgeblättert. Auf allen Seiten sind Multiplikationen und Divisionen gewesen. In echter Schönschrift. „Die sind alle richtig!“, hat die Loretta gesagt. „Ich hab immer die Probe gemacht. Und das“, sie hat ein rotes Heft aus dem Stoß gezogen, „ist mein Aufsatzheft. Jede Woche schreibe ich mindestens einen Aufsatz. Nicht unter drei Seiten.“
    Glatze hat das karierte Heft zugeklappt. Lust, sich das rote Aufsatzheft anzuschauen, hat er garantiert nicht gehabt. Nichts, was mit Schule zu tun hat, interessiert Glatze mehr als nötig. Also ist er heilfroh gewesen, dass es laut an der Haustür geklopft und eine Männerstimme „E-Werk!“ gerufen hat und die Loretta samt dem roten Heft aus dem Zimmer gerannt ist.
    Glatze ist auf der Bettwäsche hocken geblieben, hat vor sich hin geglotzt und versucht, auf die Reihe zu kriegen, was ihm die Loretta erzählt hat. Ist ja alles total neu für ihn gewesen! Er hat schließlich bisher bloß die Leute in der Siedlung gekannt und seine Schulkollegen und seine Verwandtschaft, und da ist niemand drunter, der Probleme mit der Miete hat, auf Flohmärkten Altwaren verkauft, Babys in Pflege gibt, Zeugnisse in Italien bestellt und im Winter auf einem Campingplatz fast erfriert. Aber Glatze ist keiner, der etwas, bloß weil es neu für ihn ist, nicht mag. Im Gegenteil. Da mag er schon eher nicht, was er kennt.
    Die Stromzähler sind in den Häusern unserer Siedlung im Keller unten. Glatze hat den E-Werksmann fragen gehört, ob „die junge Dame“ vielleicht eine Taschenlampe für ihn hätte. Hat sie nicht gehabt. Ein Feuerzeug hat sie ihm angeboten, aber das hat er nicht haben wollen. Er holt sich aus seinem Auto eine Taschenlampe, hat er gesagt, und dass er gleich zurück sein wird. Glatze ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Den E-Werksmann hat er sich anschauen wollen, doch der ist schon zur Vorgartentür rausgewesen, wie Glatze zum Fenster gekommen ist. Dafür hat er das Auto seiner Mutter gesehen. Mitten auf der Straße ist es gestanden, weil der Parkplatz vor dem Glatze-Haus komplett verstellt gewesen ist. Der Wagen vom E-Werk hat sich dort breitgemacht. Vor dem 19er-Haus hat der E-Werksmann nicht parken können. Dort sind zwischen den Bäumen noch immer ein paar Möbelstücke rumgestanden.
    Die Glatze-Mutter ist aus dem Auto gestiegen, hat jede Menge Tragetaschen aus dem Kofferraum geholt und bei der Vorgartentür abgestellt. Dann ist sie wieder ins Auto rein und langsam die Straße raufgefahren. „Scheiße“, hat Glatze gemurmelt und ist in den Flur raus, wo die Loretta an der offenen Kellertür gelehnt ist und auf die Rückkehr des E-Werkmanns gewartet hat.
    „Ich muss jetzt schnell mal heim“, hat Glatze gesagt. „Aber nach dem Mittagessen hätte ich wieder Zeit.“
    Die Loretta hat genickt, hat Glatze das rote Aufsatzheft hingehalten und gesagt: „Du, ich täte einen brauchen, der mir meine Rechtschreibfehler anstreicht. Sonst mache ich immer weiter die gleichen Fehler. Und meine Oldies haben nie Zeit dazu. Außerdem sind sie im Rechtschreiben sowieso keine Kapazunder.“
    Glatze hat das rote Heft genommen, „Bis später“ gesagt, ist in die Küche und durchs Fenster in den Garten und über die Ribiseln. Kaum ist er drüber gewesen, hat seine Mutter das Küchenfenster aufgemacht und rausgerufen: „Konrad, wo bist du denn? Hilf mir bitte die Sachen reintragen, auf unserem Parkplatz steht ein Wagen vom E-Werk!“
    Bei uns in der Siedlung ist es nämlich „ungeschriebenes Gesetz“, dass man nur vor dem eigenen Vorgartenzaun parken

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