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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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darf. Würde jemand sein Auto einfach vor einem fremden Vorgartenzaun abstellen, weil dort gerade kein Auto geparkt ist, wäre das – wie der Glatze-Vater sagt – äußerst unsolidarisch und eine echte „Bürgerkriegserklärung“. Und gehören zu einem Haus mehr als zwei Autos, was hin und wieder vorkommt, muss eben eines auf der Straße vor oder hinter der Siedlung geparkt werden.
    Glatze hat das Aufsatzheft unter den Hosenbund geschoben und das T-Shirt drübergezogen und hat, seitwärts um das Haus rum, zur Straße raus, zum Auto wollen.
    Doch seine Mutter hat aus dem Küchenfenster gebrüllt: „Komm herein, Konrad, aber sofort!“
    Glatze hat „Also was jetzt, gnä’ Frau?“ gemurmelt und ist ins Haus rein.
    Seine Mutter hat hinter der Haustür gelauert und ihn an der Schulter gepackt. „Hast du denn völlig den Verstand verloren?“, hat sie gekeift. „Warum um alles in der Welt ziehst du dir diese verdreckten Klamotten aus der Schmutzwäsche an?“
    „Lass mich los“, hat Glatze gesagt. „Du tust mir weh!“
    Das ist nicht gelogen gewesen. Die spitzen, rot lackierten Fingernägel seiner Mutter haben sich höllisch gemein in seine Schulter gekrallt.
    „So gehst du mir nicht auf die Straße hinaus!“, hat die Glatze-Mutter gefaucht und nicht dran gedacht, die Schulter loszulassen.
    Da hat es Glatze gereicht. Er hat die Hand von seiner Schulter runtergeboxt, ist zur Haustür raus und die Straße rauf. Zu seinem Denkstein. Den hat er jetzt nötig gehabt.

MANCHMAL, WENN DER WIND AUS Osten weht, was bei uns eher selten vorkommt, hört man in der Siedlung um zwölf Uhr zu Mittag Glocken leise bimmeln. Keine Ahnung, woher dieses Gebimmel kommt. Weit und breit gibt es in der Umgebung keine einzige Kirche.
    An diesem Tag hat der Wind aus Osten geweht, und Glatze ist, als das Glockengebimmel zu Ende war, von seinem Denkstein aufgestanden. Dass ihm das ins Hirn geflutschte Radon geholfen hat, einen schwierigen Entschluss zu fassen, musst du nicht unbedingt glauben. Aber glauben kannst du ruhig, dass Glatze das so gesehen hat. Er ist langsam am Straßenrand zur Siedlung zurückgegangen. Sehr entschlossen hat er ausgeschaut und gar nicht heiter. Denn dass er sich mit seinem Denkstein-Entschluss allerhand Zores einhandeln wird, ist ihm garantiert klar gewesen. Aber Glatze vertraut dem Radon eben hundertprozentig! Und wenn das Radon meint, dass man erstens offen und ehrlich zu seiner Liebe zu stehen hat und sich zweitens die Liebe vor einer neugierigen Mutter sowieso nicht geheim halten lässt, dann bleibt Glatze eben nichts anderes übrig, als gegen den Rat seines Vaters zu handeln und einen beinharten Konflikt mit seiner Mutter zu riskieren. Ganz egal, ob die Frau deswegen Migräne kriegt oder nicht.
    Wie er bei Hausnummer 27 gewesen ist, wo Zecke wohnt, hat er gesehen, dass seine Mutter auf der Straße steht und mit einem Lappen am Vorgartenzaun herumwischt. Über Hausfrauen, die sogar Zäune polieren, macht sie sich sonst gern lustig. Sonnenklar, dass sie nach Glatze Ausschau gehalten hat! Nicht zu wissen, wo ihr Sohn gerade ist, hält sie schlecht aus.
    Glatze hat stur geradeaus geschaut, ist auf seine Mutter zumarschiert und an ihr vorbei, als wäre sie unsichtbar. In den Vorgarten vom 19er-Haus ist er rein und zur Haustür hin und hat geklingelt. Die Loretta hat sofort die Haustür aufgemacht. Glatze ist hinter ihr her ins ehemalige Berger-Wohnzimmer gegangen, wo jetzt totales Chaos gewesen ist. Kniehoch sind Klamotten, Bettzeug und vermischter Kram auf dem Boden gelegen, dazwischen die leeren Kartons und Schachteln.
    „Ich hab das Knäckebrot gesucht, ich war schon fast am Verhungern, ich bin nämlich ein Vielfraß“, hat die Loretta gesagt und Glatze eine angebrochene Packung Finnenbrot mit Sesam drauf hingehalten. „Magst du?“
    Glatze hat eine Scheibe Knäckebrot aus der Packung gezogen. Sie ist ihm zwischen den Fingern zerbröselt, und die Brösel haben ungeheuer muffig geschmeckt.
    Essen, das grauenhaft schmeckt, kann Glatze nur sehr schwer schlucken. Da bekommt er einen Brechreiz. Drum spuckt er es meistens aus, aber das ist ihm jetzt nicht passend vorgekommen. „Ist schon seit einem Jahr abgelaufen!“ Die Loretta hat auf das gestempelte Datum auf der Packung getippt. „Aber bei Knäckebrot macht das überhaupt nichts aus, das wird nie wirklich schlecht, das hält auf ewig!“ Mit Todesverachtung hat Glatze die muffigen Brösel runtergewürgt und sich nach einem Schluck Wasser gesehnt, um

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