Lumpenloretta
zwischen den Zwetschkenbaum und den Apfelbaum gestellt und, wie ein frisch lackiertes Hutschpferd grinsend, nach allen Seiten geknickst. Aber zum Radschlagen ist sie nicht mehr gekommen, denn von der Straße her hat eine Männerstimme gebrüllt: „Pizza! Cola! Tiramisu! Heute die doppelten Portionen zum halben Preis! Und ein Schoko-Eis als Draufgabe!“
Die Loretta hat gebrüllt: „Zopferl, ich bin im Garten!“
„Wer ist der Zopferl?“, hat Glatze gefragt.
„Das ist mein Papa“, hat ihm die Loretta erklärt. „Alle Leute sagen Zopferl zu ihm.“
GLEICH DRAUF IST DER ZOPFERL um die Hausecke herum aufgetaucht, bepackt mit Pizza-Kartons und einer Kühltasche und einem Paket, wo auf dem Einwickelpapier der Name einer Konditorei gestanden ist, und Glatze hat gesagt, dass er jetzt heimgeht. Weil ihm seine Mutter beigebracht hat, dass man heimgehen muss, wenn man wo auf Besuch ist und merkt, dass sich die Leute ans Essen machen wollen. Sonst heißt es angeblich gleich, dass man keine guten Manieren hat.
„Wir haben mehr als reichlich Futter, du kannst ruhig mitessen“, hat der Zopferl gesagt.
Glatze ist heilfroh gewesen, nicht heimgehen zu müssen. Nicht, dass er Angst vor seiner Mutter gehabt hätte. Er ist muttermäßig angstfrei. Und dass er sich ihr Gezeter nicht ersparen kann, ist ihm auch klar gewesen. Aber unangenehme Sachen schiebt jeder gern so lang als möglich vor sich her, da ist Glatze keine Ausnahme.
Die Loretta hat die Kühltasche aufgemacht und drei Dosen Cola rausgeholt. Eine hat sie Glatze zugeworfen, eine ihrem Vater. „Skol“, hat sie gesagt, die dritte Dose aufgerissen und Glatze und ihrem Vater zugeprostet.
Übrigens ist der Zopferl nicht im grauen Fransen-Look gewesen, sondern hat normale Jeans und ein Leiberl ohne Ärmel angehabt. Seine Arme sind bunt tätowiert gewesen. Mit einem fliegenden Adler, einer geringelten Riesenschlange, einem ziemlich nackten Mädchen, einer erblühten Rose und einem Herz mit zwei Buchstaben drin.
„Wo ist denn die Mama?“, hat die Loretta gefragt.
Der Zopferl hat einen Taschenfeitel aus einer hinteren Jeanstasche gezogen und aufgeklappt. Er hat einen Pizza-Karton aufgemacht und die Pizza – Salami, Paradeiser, Oliven und Mozzarella sind drauf gewesen – auf drei Teile zersäbelt.
„Wo ist denn die Mama?“, hat die Loretta wieder gefragt. „Ist die nicht mit dir gekommen?“
Der Zopferl hat geseufzt. „Im Bett. Die muss sich noch ein bisschen ausweinen und will es nicht vor dir tun.“ Die Loretta ist aufgesprungen und durchs Küchenfenster ins Haus rein. Der Zopferl hat Glatze eins von den drei Pizza-Stücken gegeben und wieder geseufzt. „Heavy, so einen Zwerg abzuliefern“, hat er gesagt. „Kannst mir glauben, das ist ein Heartbreaker!“
Glatze hat nicht gewusst, was man da drauf sagen kann. Also hat er geschwiegen und sein Pizza-Stück gemampft.
„Ist aber total super“, hat der Zopferl, ebenfalls mampfend, gesagt, „dass unser Sweetheart hier gleich einen Freund gefunden hat. Mit Freunden hat sie bis jetzt nämlich überhaupt kein Glück gehabt. Das hat sich irgendwie nie ergeben. Du bist doch der Bub von nebenan, oder nicht?“
Glatze hat genickt und gesagt, dass er Konrad heißt. Der Zopferl hat drauf gesagt, dass er eigentlich Ottokar heißt, was ein schrecklich grauslicher Name ist. Aber dass er von allen Leuten nur Zopferl genannt wird, wegen seiner Frisur. Und dass Glatze auch Zopferl zu ihm sagen soll. Und bittschön, nicht „Sie“, sondern „du“!
„Mich nennen alle Freunde Glatze!“, hat Glatze erklärt und seine schwarzen fünf-Millimeter-Stoppeln gerubbelt.
„Und warum?“, hat der Zopferl gefragt.
„Warum was?“, hat Glatze retourgefragt, obwohl er gewusst hat, worum es geht. Er hat bloß ein bisschen Zeit gewinnen wollen, um sich eine Antwort zu überlegen.
„Warum du dir die Haare abrasierst!“, hat der Zopferl erklärt. „Weil nämlich üblicherweise sind die Glatzköpfe diese verdammten Arschgeigen von Neo-Nazis. Hast du denn keine Angst, dass man dich irrtümlich für so einen Scheiß-Trottel-Typen hält?“
Glatze ist vor Schreck der Rest von seinem Pizza-Drittel aus der Hand gefallen und ins Gras geplumpst. Entsetzt hat er den Zopferl angestarrt. „Aber das – das – das ist doch nur – gegen meine Eltern! Aus Protest!“ Besser hat er es nicht erklären können.
„Verstehe“, hat der Zopferl gemurmelt, sich mit dem Taschenfeitel über die nächste Pizza hergemacht und Glatze wieder
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