Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
sammelte all meine
Kräfte – und stieß den Ellbogen in die Scheibe, die klirrend zerbarst. Im
selben Augenblick rollte ein ohrenbetäubender Donnerschlag über meinen Kopf
hinweg und verschlang das Geräusch des brechenden Glases. Es war, als wollte
der Himmel selbst meine Taten decken. Scherben schnitten in meinen Arm und ich
spürte, wie warmes, klebriges Blut an meinem Unterarm herabrann und in
dickflüssigen Tropfen zu Boden fiel, dunklen Tränen gleich. Ich achtete nicht
weiter darauf, sondern holte ein weiteres Mal aus, um aus dem kaum faustgroßen
Loch einen passierbaren Durchgang zu schaffen. Wie tausende kleine Messerspitzen
spürte ich die Splitter, die sich tief in meine Haut bohrten, doch immer noch
erlaubte ich mir nicht, es in irgendeiner Weise zur Kenntnis zu nehmen. Andreas´
hartes Training hatte mich gestählt, gegen Schmerz beinahe unempfindlich
gemacht. Er hatte gewusst, was er tat.
Das Buch fest an mein nacktes Fleisch pressend,
kletterte ich in den Fensterrahmen und krallte mich darin fest, so gut es das
vom Wetter aufgeweichte Holz zuließ, das unter meinen verkrampften Fingern wie
lockerer Sand zu zerbröseln drohte. Für die Dauer eines Atemzuges hockte ich so
in dem schmalen Fenster, heftig durch den Mund atmend. Regen und Wind
peitschten mir ins Gesicht und nahmen mir die Luft, eisige Kälte biss mir in
die Glieder, saugte in Sekundenbruchteilen jedes bisschen Kraft aus meinen
Muskeln. Plötzlich war ich sicher, dass dieser Wahnsinn niemals gut gehen
konnte, dass ich mir unweigerlich das Genick brechen musste.
Das ist blanker Selbstmord , dachte ich – und sprang.
Andreas´
Aufzeichnungen
»Weder weiß ich, ob
jemals jemand diese Zeilen lesen wird, noch, ob ich es wagen soll, mir dies zu
wünschen. Vermutlich nicht. Aus diesem Grund verfasse ich sie in einer Sprache,
die bereits länger tot und vergessen ist als jene der alten Ägypter. Aber nach
allem, was geschehen ist, ist es mir unmöglich, Stillschweigen zu bewahren. Ich
muss mich mitteilen, wenn auch nur einem leblosen Folianten und in einer Form,
die nur Götter und Auserwählte verstehen.
Mein
Name ist Andreas, und wie so viele andere vor mir wurde ich mir eines Tages der
Tatsache bewusst, magische Kräfte in mir zu tragen.
Als
all dies seinen Anfang nahm, zählte ich gerade zwanzig Jahre. Ich erfreute mich
meiner Jugend und vermutete keinerlei Unbill unter den Menschen, die mich
umgaben. Wie sollte ich auch? Schließlich war ich in einer Familie liebevoller
Eltern und Geschwister aufgewachsen, denen mein Wohl am Herzen lag und die mir
stets zu verstehen gaben, dass ich in der Welt willkommen war. Ich hatte keinen
Grund, Misstrauen oder gar Hass zu hegen, war ein Freund aller Menschen und
glaubte an das Gute in ihnen, das sich unter jeder noch so abweisenden Schale
verbergen müsste. Auch gegenüber dem Schicksal hegte ich keinerlei Groll –
stets war mir nur Gutes zuteilgeworden; ich hatte einen Studienplatz an einer
angesehenen medizinischen Universität und herausragende Noten, sah einer
glänzenden Zukunft entgegen. Ja, ich war von Geburt an ein Begünstigter Fortunas
gewesen.
Als
dann eines Tages die Erkenntnis in mein perfektes Leben drang, dass ich anders
als andere war, wurde ich von einer jungen Frau aufgesucht, die mich voller
Verständnis und Feingefühl über meinen Zustand aufklärte. Sie faszinierte mich
augenblicklich, was nur zum Teil an ihrer umwerfenden äußerlichen Erscheinung
lag, obgleich ich zugeben muss, dass diese schlicht überwältigend war. Neben
ihrem wallenden Haar und ihren vielfarbigen, dunklen Augen war da noch eine
nicht sicht-, aber deutlich spürbare Ausstrahlung, die sie wie ein sanfter
Lichtschein umgab. Später sollte ich den Begriff Aura verinnerlichen, doch
damals sah ich dieses herrliche Gefühl, das mich jedes Mal befiel, wenn ich
mich in ihrer Nähe aufhielt, schlichtweg als ihren eigenen, wunderbaren Zauber
an.
Ihr
Name war Eloin, und sie führte mich fort aus meinem perfekten, aber wunderarmen
Leben, um mich in eine Welt hinter der mir bekannten zu geleiten. Auch sie war
eine Magierin, und sie machte mich mit weiteren Bewahrern der alten Kunst
bekannt. Behutsam ließ sie mich deren Lebensweise und Weltanschauung erkunden.
Es stellte für mich keinerlei Schwierigkeit dar, die Scheuklappen der
Zivilisation abzustreifen und mit ihren Augen zu sehen, und schon bald war ich
ein Teil dieser wundersamen Gemeinschaft geworden.
Dass
wir Magier uns gegenseitig unterstützten
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