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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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Der Magier zeigte eine Reihe unvollständiger,
brauner Zähne. Der Sinn seiner Bemerkung blieb mir verborgen, denn ich
überragte den Kerl um mehr als eine Haupteslänge.
    ›Gut,
ich werde dir etwas über Gerechtigkeit erzählen. Es ist nicht gerecht, dass
diese Bastarde ein Leben in Schlössern führen, während andere wie Ungeziefer hausen
und den Dreck fressen müssen, den sie absondern. Es ist nicht gerecht, dass
ihre elendigen Bälger all diese niedlichen Annehmlichkeiten von ihren
missratenen Eltern erben, ohne je auch nur einen Finger krumm gemacht zu haben.
Willst du mir etwa erzählen, Magier, dass die Gaben der Welt gerecht verteilt wären? Hältst du das Leben für gerecht ?‹ Der Magier war mir nun
so nahe, dass ich seine säuerliche, intensive Ausdünstung riechen konnte.
    ›Das
Leben ist ausgeglichen‹, antwortete ich, darum bemüht, beim Reden nicht zu tief
Luft zu holen. ›Ungleichheiten gibt es nicht – wo an einer Stelle Schaden
entsteht, wird dieser an anderer Stelle durch das Wirken guter Kräfte wieder
behoben. Diese Balance ist dem Einzelnen nicht immer bewusst, weil er nur einen
winzigen Teil des großen Ganzen sieht, aber Wesen wie du und ich haben ein weiteres
Blickfeld. Siehst du denn nicht selbst den alles umfassenden Zusammenhang, der
die Welt umspannt und sie zu einem reinen, guten Ort macht, an dem keine
Rechnung jemals wahrhaft offenbleibt?‹
    Der
Magier spuckte verächtlich aus, und ich machte rasch einen Schritt zur Seite,
um nicht von seinem dunklen Speichelfaden getroffen zu werden. ›Was nützt das?‹,
blaffte er. ›Was nützt mir das große Ganze, wenn ich selbst mich im Dreck
winden muss wie Getier? Nein, Magier, es gibt keine Gerechtigkeit. Nicht,
solange wir sie nicht selbst herstellen. Und genau das habe ich getan. Ich habe
der nächsten Generation blasierter Kavierfresser gezeigt, wie sich ein Leben
als Ratte der Gesellschaft anfühlt. O ja, sie haben am eigenen Leib erfahren,
wie es ist, vom Müll jener zu leben, die über ihnen stehen, und sich unter den
Schlägen derer ducken zu müssen, die sie verabscheuen. Ihre eigenen Eltern
waren so sehr von sich selbst und ihrem Leid geblendet, dass sie nicht einmal
bemerkten, dass es ihre eigenen Kinder waren, die da auf ihren Bäuchen in ihre
Häuser zurückgekrochen kamen, um Obdach und Nahrung zu erbetteln.‹ Ein
rasselndes, dröhnendes Lachen löste sich aus seinen verschleimten Lungen.
    Ich
starrte den Mann, dessen wahren Namen ich niemals erfahren sollte, den ich
jedoch für mich selbst den Rattenfänger nenne, entsetzt an. Bei dem, was ich
soeben vernommen hatte, schnürte sich mir die Kehle zu, und ich hatte alle
Mühe, meine Gedanken einigermaßen zu sammeln.
    ›Soll
das … soll das etwa bedeuten, diese Tiere, die man mit Gift und Fallen gemeuchelt
hat, waren die vermissten Kinder?‹, brachte ich endlich hervor.
    Der
Rattenfänger grinste mich an. Seine dürren Finger zupften an den Fransen seiner
zerfetzten Kleidung, und ich sah, dass auch seine Fingernägel schrecklich lang
waren. ›Ich hatte die Macht dazu, und sie hatten eine Strafe verdient. Das wird
ihnen eine Lehre sein.‹
    ›Eine
Lehre?‹, wiederholte ich, knapp an der Grenze zur Hysterie. Ohne dass ich es
wollte, wurde meine Stimme lauter und zorniger. ›Eine Lehre wozu? Dass sie
nicht in eine reiche Familie hätten hineingeboren werden dürfen? Dass sie sich,
sollten sie eines Tages wieder auf diese Welt zurückkehren, gegen ihre Eltern
zur Wehr setzen, sich einen ärmeren Haushalt suchen sollen?‹
    ›Nichts
im Leben sollte geschenkt sein!‹, keifte mich der Rattenfänger an wie ein gereizter
Hund.
    ›Und
was sollen jene, die dieses Glück besitzen, deiner Meinung nach dagegen tun?‹
Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss.
    ›Etwas
vom Kuchen abgeben!‹, erwiderte der Rattenfänger. ›Nicht auf uns niederen
Menschen herumtrampeln, als wären wir Abfall! Niemand sollte sich über andere
erheben! Ich kann es nicht länger dulden, dass diese affektierten Schweine im
Luxus schwelgen. Ich ertrage es nicht.‹
    ›Du
bist verrückt‹, stellte ich fest. ›Nur weil du deinen krankhaften Neid nicht
unter Kontrolle bringen kannst, mussten Dutzende, wenn nicht hunderte Kinder
sterben! Begreifst du denn nicht, dass niemand, der durch dich den Tod fand,
sich deiner Existenz überhaupt bewusst war? Nicht eines deiner Opfer hat dir willentlich
Schaden zugefügt. Wenn man mit seinem Dasein unzufrieden ist, hat man die
Möglichkeit, sein

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