Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Spiel
setzte, schien ihn überhaupt nicht zu kümmern.
Es
schmerzte, den Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich verzweifelt gegen die
Parasiten wehrten, die ihre Vorräte vertilgten und ihre Heime zernagten.
Dutzende Ratten fanden einen unehrenhaften Tod durch Giftköder oder Fallen.
Selten habe ich ein solches Leid gesehen – auf beiden Seiten.
Schließlich
fasste ich einen Entschluss. Ich warf meine Hoffnungen über Bord, den
abtrünnigen Magier jemals unbemerkt bei seinem Tun beobachten zu können, und entschied
mich, stattdessen die offene Konfrontation mit ihm zu suchen. Dazu begab ich
mich wie schon so oft in das betroffene Viertel und tastete mich mit geistigen
Fühlern durch die nun wie ausgestorben daliegenden Gassen. Die Flut der Ratten
war mittlerweile versiegt, die Häuser ringsum gespenstisch still. Es war, als
würden die Gebäude selbst den Atem anhalten in Erwartung des nächsten vernichtenden
Schlags.
Komm zu mir, wir haben zu reden , sendete ich
meine Botschaft in die dunkle Nacht hinaus.
Obwohl
ich wusste, dass es mein Tod sein konnte, mich mit einem so kundigen und
skrupellosen Magier anzulegen, war ich fest entschlossen, die Sache
durchzuziehen. Ich hatte keinen meiner Freunde über mein Vorhaben informiert,
denn ich wollte sie nicht unnötig in Gefahr bringen. Hätten sie es gewusst,
hätten sie unweigerlich versucht, mir beizustehen, und sich damit selbst mitten
ins Kreuzfeuer begeben. Das konnte und wollte ich nicht zulassen.
WER BIST DU? Die Antwort erfolgte eine knappe
Minute später und dröhnte so laut zwischen meinen Ohren wider, dass ich instinktiv
eine Hand gegen die Stirn presste. Was ich spürte, war geballte Macht.
Ich bin wie du , gab ich zurück, als meine
Ohren nicht länger klingelten. Ein Magier. Wir müssen über das reden,
was hier geschieht. Es ist unrecht.
Da
hörte ich, wie sich schleifende Schritte in meinem Rücken näherten. Auf dem
Absatz wirbelte ich herum und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die
Finsternis. Das Licht der Straßenlaternen war stark gedämmt, vielleicht, weil
es nach all den Unglücken niemanden mehr gab, der sich um die Versorgung des
einstmals ansehnlichsten Bezirks der Stadt kümmerte, und so bereitete es mir
einige Mühe, die hagere Gestalt zu erkennen, die sich langsam auf mich zuschob.
›Unrecht?‹,
drang es aus der Dunkelheit. Seine tatsächliche Stimme war weitaus leiser als
die seines Geistes; sie klang rau und wurde von einem ungesunden Rasseln
begleitet. Für meine geschulten Ohren war unüberhörbar, dass der Mann unter
einer chronischen Pneumonie litt.
Unsicher
wich ich einen Schritt zurück. Die Aura, die da vor mir pulsierte, schien
unermessliche Kräfte in sich zu bergen. Meine eigenen Fähigkeiten waren alles
andere als gering, doch etwas Vergleichbares hatte ich noch nie zuvor gespürt.
›Was
weißt du von Unrecht, Magier?‹, fuhr der andere rasselnd fort, während er sich
mir weiter näherte. Er sprach mit einem starken, indisch klingenden Akzent, der
jedes seiner Worte schwingen ließ. ›Was weißt du von Gerechtigkeit?‹
Mittlerweile
war er nahe genug heran, dass ich sein Gesicht im dämmrigen, orangen Schein der
Straßenlaternen ausmachen konnte. Es war ausgezehrt und von einer dunklen Haut
bespannt, welche die Beschaffenheit von gegerbtem Leder zu haben schien. Seine
übrige Gestalt wirkte geradezu erbärmlich auf mich; seine vor Schmutz starrende
Fetzenkleidung schlackerte um seine dürren Gliedmaßen, die wie Äste aus dem
Stoff hervorragten; seine Füße waren bloß und endeten in grotesk langen Nägeln,
die mich an Krallen erinnerten. Als er zu mir sprach, traten seine stierenden
Augen mit den schwarzen Pupillen so weit aus den Höhlen hervor, dass ich
fürchtete, sie würden jeden Moment herausfallen wie lose Glasmurmeln.
›Ich
weiß, dass es unrecht ist, unschuldige Kinder von ihren Eltern zu trennen‹,
antwortete ich, wobei ich all meine Konzentration darauf aufwandte, fest und selbstsicher
zu klingen. ›Oder eine Plage von Nagetieren auf Menschen loszulassen, die sich
eine solche Strafe durch keine entsprechende Tat verdient haben.‹
Der
Magier lachte, was klang, als würde man einen Sack Nägel schütteln. ›Ich sehe,
du weißt nichts. So bist du also gekommen, um zu lernen?‹
Ich
schluckte. ›Ja. Ich bin bereit, mir anzuhören, was du zu sagen hast. Vielleicht
verstehe ich dann besser, was dich zu diesen irrwitzigen Taten verleitet hat.‹
›Große
Reden von einem kleinen Mann.‹
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