Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
brachte jedoch nicht den Mut dazu auf. Die
grässliche Wahrheit war: Ich war mir nicht sicher, ob nur Er allein die
Fäden in der Hand gehabt hatte. In meinem Kopf wuchsen Bäume, die schwarze,
verdorbene Früchte trugen, und eines Tages würde ich sie ernten.
»Warum
bist du hierher gekommen?«, fragte Kiro, plötzlich vollkommen ernst.
»Um
das Buch zu holen«, gestand ich.
»Für
wen?«
Ich
senkte den Blick und starrte auf meine verbrannten Hände. Die krebsrote Haut
hatte sich abgeschält und hing in Fetzen von meinen Fingern. »Für … für Ihn .«
»Warum?«
»Um
die Welt zu retten, glaube ich«, gab ich tonlos zurück. »Das ist es ja, Kiro.
Ich hätte es auch getan, wenn ich nicht unter Seinem Einfluss gestanden
hätte.« Ich ließ offen, ob ich damit den Diebstahl des Buches oder den Mordversuch
an Kiro meinte.
»Bedeutet
das also …«, begann er zögerlich, »dass wir jetzt auf entgegengesetzten Seiten
stehen? Sind wir jetzt Feinde?«
Ich
griff nach seiner eiskalten Hand und hielt sie fest. »Ich … weiß nicht«, murmelte
ich, noch immer, ohne ihn anzusehen.
»Das
solltest du aber wissen.«
Kiro
und ich schraken gleichermaßen zusammen und drehten uns um. Hinter dem jungen Mann
ragte plötzlich wie aus dem Boden gewachsen die Gestalt Hansens auf. Seine
Stirn war blutverschmiert, ein krasser Kontrast zu seinem aschfahlen Gesicht,
auf dem sich noch immer Schmerz abzeichnete. Als er einen Schritt in den Raum
tat, wankte er gefährlich und musste sich rasch am Türrahmen abstützen, um
nicht zu stürzen.
»Hansen«,
stellte Kiro fest. »Sie leben also tatsächlich noch.«
»Dasselbe
könnte ich über dich sagen«, gab Hansen mit einem schmerzlichen Grinsen zurück.
»Du hast auch schon mal frischer ausgesehen, Junge.« Übergangslos wurde er wieder
ernst und wandte sich erneut mir zu. »Du musst dich für eine Seite entscheiden,
Laura. Er oder wir. Du kannst nicht beides haben.«
»Und
was wird mit mir geschehen, wenn ich die falsche Wahl treffe?«, fragte ich.
»Dann
wirst du die Konsequenzen tragen müssen.«
Ich
presste die Lippen zusammen, meine Gedanken rasten. Andreas oder Kiro. Der
Vater oder der Sohn. Das Gute oder das Böse?
»Für
uns.«
Ich
sah Kiro erstaunt an, der mir einen flüchtigen Kuss auf die Fingerknöchel gehaucht
hatte.
»Du
entscheidest dich für uns, nicht wahr?«, fragte er ernst.
Ein
harter Kloß machte sich in meinem Hals breit, schnürte mir die Luft ab. Schließlich
seufzte ich schwer und entzog meine Hand behutsam der Kiros. Im Grunde war
meine Entscheidung schon vor langer Zeit gefallen, und das wusste er nur zu gut.
»Ich
will ehrlich zu euch sein: Ich kann nicht zu euch zurückkommen und so tun, als
hätte es die vergangenen Wochen nicht gegeben.«
»Laura«,
flüsterte Kiro schmerzlich.
Ich
schloss die Augen und schüttelte abwehrend den Kopf.
Hansen
seufzte. »Deine Offenheit ehrt dich, Laura. Ich habe dich falsch eingeschätzt. Er hat dich zu Dingen verleitet, die du aus freien Stücken niemals getan
hättest. Dennoch können wir nicht einfach über das hinwegsehen, was geschehen
ist. Du wirst wiederkommen, wenn ich dich ziehen lasse, ohne oder mit Ihm ,
und dann wird es nicht mehr so glimpflich verlaufen wie dieses Mal. Du weißt bestimmt
ebenso gut wie ich, dass ich das nicht zulassen kann.«
»Und
was heißt das nun für uns?«, fragte Kiro. Noch immer war er zu schwach, um die
Stimme merklich zu erheben, aber der Zorn schwebte über seinem Kopf wie eine
Gewitterwolke. »Wollen Sie Laura umbringen?«
»Gott
bewahre! Selbstverständlich nicht. Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als
sie vorerst einzusperren. Natürlich nicht lange«, fügte Hansen rasch hinzu, als
er Kiros wutflammenden Blick gewahrte, »nur für ein, vielleicht zwei Tage, bis wir
uns beide etwas erholt und eine bessere Lösung gefunden haben.« Sein Blick
schwenkte zu mir herum. »Nun, Laura? Kommst du freiwillig mit mir oder muss
erst ein neuerlicher Akt der sinnlosen Gewalt zwischen uns stattfinden?«
Ich
schüttelte den Kopf. »Nein, ich begleite Sie freiwillig.« Der Kampf – zuerst
gegen Kiro, dann gegen Ihn – hatte mich viel zu sehr erschöpft, als dass
ich einen weiteren hätte bestreiten können. Selbst wenn ich es gewollt hätte,
wäre es im Augenblick sinnlos gewesen, gegen Hansen aufzubegehren.
Hansen
nickte zufrieden. »Kluges Kind.«
Kapitel III
Wie lange war es nun schon her, seit Hansen mich in
dieses von Staub und Alter beherrschte Zimmer
Weitere Kostenlose Bücher