Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
dem
Verbau hatte schweifen lassen, riss er mehrere Schränke auf, bis er etwas Brot
und Käse gefunden hatte, die er gierig hinunterschlang. Er hatte bislang gar
nicht bemerkt, wie ausgehungert er war, und wenn er nun darüber
nachdachte, konnte er sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas
Festes zwischen die Zähne bekommen hatte.
Nicht ganz umsonst , dachte er nun, als er sich
satt gegen die Arbeitsplatte lehnte und sich mit einer Hand über den vollen
Bauch rieb, während er mit der anderen ein paar Brotkrumen aus seinen Mundwinkeln
schnippte.
Nachdem
er sich nun mit dem Notwendigsten versorgt hatte, fand er Gelegenheit, sich sorgfältiger
in seiner Umgebung umzusehen. Er hatte beinahe fest damit gerechnet, in dieser
Wohnung auf weitere Leichen zu stoßen, die en masse die Straßen der
Innenstadt füllten, stattdessen war hier alles verwaist und bar jeden Lebens. Die
verschiedenen Zimmer machten auch nicht den Eindruck, als wären sie in großer
Eile verlassen worden. Er selbst hatte festgestellt, dass weder Strom noch
Wasser abgeschaltet waren, und auch in den Schränken schien augenscheinlich
nichts Bedeutendes zu fehlen, was darauf hingewiesen hätte, dass jemand seine
sieben Sachen für einen Notfall zusammengerafft hatte.
Taoyama
verbarg ein herzhaftes Gähnen hinter vorgehaltener Hand, putzte sich die
letzten Krümel aus der geliehenen Kleidung und stieß sich von der Küchentheke
ab. Ganz offensichtlich würde er hier die Verbündeten, die er so dringend
brauchte, nicht finden, also täte er nun besser daran, seinen Weg fortzusetzen
– wenn auch allein.
Er
machte gerade Anstalten, sich zur Tür zu wenden, da ertönte plötzlich ein
schriller, aggressiver Pfiff.
Taoyama,
der nicht damit gerechnet hatte, dass hier irgendwo noch Leben herrschte, zog
blitzschnell sein Messer und ging in Verteidigungsposition.
»Hallo?«
Sein Herz klopfte so laut wie der Regen gegen die Fensterscheiben. »Ist da jemand?«
Ein
seltsames Geräusch wie das Aufeinanderschlagen von Lederlappen ertönte. Taoyama
hielt die Luft an in dem Versuch, die Quelle der Laute auszumachen.
»Ist
hier noch etwas am Leben?«, fragte Taoyama halblaut, während er sich mit
vorgehaltenem Messer durch die Wohnung schlich. Immer wieder pendelte sein Kopf
von links nach rechts, um zu vermeiden, dass sich etwas außerhalb seines
Gesichtsfeldes an ihn heranschlich.
Die
Laute wiederholten sich nicht, trotzdem glaubte Taoyama, nun ihren Ursprungsort
ermittelt zu haben. Sie schienen aus einem Zimmer Ende des Flurs zu stammen.
Seine Tür war einen Spaltbreit geöffnet, da Taoyama auch dorthinein einen
sichernden Blick geworfen hatte, als er angekommen war, aber nachdem er nichts
von Interesse für sich entdeckt hatte, war er mit seiner Erkundungstour fortgefahren.
War es denn möglich, dass sich dort etwas versteckte, das seinem Blick
verborgen geblieben war?
»Wer
ist da? Ich habe ein Messer.« Im nächsten Moment biss Taoyama sich auf die
Unterlippe für seine eigene Dummheit. Wunderbar, nun warnte er seinen Gegner
auch noch vor.
Mit
der Zehenspitze seines rechten Fußes schob er die Tür behutsam auf. Nachdem er
eine Sekunde hatte verstreichen lassen, ohne dass sich die Geräusche wiederholten,
fasste Taoyama sich ein Herz und öffnete die Tür gänzlich.
Dahinter
zum Vorschein kam ein unscheinbarer Raum, der von einem Bett und einigen prall
gefüllten Bücherregalen dominiert wurde. In einer Ecke des Zimmers war ein
Schreibtisch gepresst, auf dem sich Bücher und Schulhefte stapelten, daneben
hatte sich ein Rucksack zusammengekauert. All diese Dinge waren von einer feinen
Staubschicht überzogen, was davon zeugte, dass sie schon lange niemand mehr in
die Hand genommen hatte. Ein Kinderzimmer?
Langsam
ließ Taoyama sein Messer sinken und machte einige weitere Schritte in den Raum
hinein. Er wollte gerade aufatmen, als sich der schrille Pfeifton wiederholte,
diesmal unmittelbar neben seinem Ohr.
Taoyama
tat einen erschrockenen Satz, riss seine Waffe in die Höhe, um damit wie ein
irre gewordener Fleischer herumzufuchteln – und sah sich seiner
furchterregenden Bedrohung von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Ein
goldener Kanarienvogel, nicht größer als Taoyamas Hand von den Fingerspitzen
bis zum Gelenk, blinzelte ihn aus großen Knopfaugen an. Vermutlich hatte das
Tier noch nie einen so merkwürdigen, amüsanten Menschen gesehen. Der Käfig des
Vogels war so im Raum platziert, dass er sich beim Betreten in einem toten
Winkel
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