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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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Zeit für Etikette war. Er spannte seine
Muskeln an, dann nahm er Anlauf und versuchte, die Tür mit der Schulter
aufzusprengen. Ein schmerzerfüllter Schrei entwich ihm, als er wirkungslos an
dem stabilen Material abprallte, und er kämpfte für die Dauer eines Atemzugs
darum, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er biss die Zähne zusammen, berührte
seine Schulter, die bereits anzuschwellen begann, holte Anlauf und startete
einen weiteren Versuch. Diesmal jedoch war er nicht so dumm, die Tür mit seiner
bloßen Körperkraft bezwingen zu wollen – mit der wenigen übernatürlichen Kraft,
die er in sich fand, übte er zusätzlich Druck aus. Sein Körper prallte erneut
gegen das Türblatt, und für eine Schreckenssekunde glaubte Taoyama, dass es
wieder nicht funktionieren, dass er mit gebrochener Schulter und kampfunfähig
enden würde – aber dann gab es ein befriedigendes Krachen, und die Tür wurde
wie die Wand einer Aluminiumdose nach innen gedrückt.
    Keuchend
trat Taoyama einen Schritt rückwärts und wischte sich den klebrigen Schweiß von
der Stirn. Seine Schulter pochte unangenehm und fühlte sich heiß an, aber der
Weg war frei.
    »Ich
komme jetzt rein, versteckt oder nicht versteckt«, murmelte er.
    Das
gesamte Gebäude erschien ihm wie ausgestorben. Nirgendwo brannte ein Licht,
nicht das kleinste Geräusch durchbrach die drückende Stille. Der äußere Schein
hatte getrogen: Hier drinnen war absolut nichts gewöhnlich oder gar friedlich.
    Schließlich
erreichte er die Haustür, an der ein kleines Schild mit der getippten Aufschrift
FAM. SEIBACH hing. Es hing nicht lange dort, denn Taoyama hielt sich nicht mit
einem weiteren fruchtlosen Klingelversuch auf, sondern wählte den direkten Weg
– auch diese Tür fiel ihm zum Opfer. Da es sich dabei nicht um eine so stabile
Sicherheitstür wie beim Eingang handelte, kostete es ihm kaum Mühe, das lästige
Hindernis aus dem Weg zu räumen.
    »Pizzaservice«,
rief er. »Entschuldigt die Verspätung, Leute, ging leider nicht schneller.
Sauwetter da draußen, kann ich euch sagen. Ist ja fast wie am Jüngsten Tag.«
    Natürlich
antwortete niemand. Nichts anderes hatte Taoyama erwartet. Die Familie war ganz
offensichtlich unterwegs.
    Oder
tot, wie ungefähr vierzig Prozent der Einwohner dieser Stadt.
    Umsonst , dachte er düster. Alles ganz
umsonst.
    Eine
neue Welle der Erschöpfung überrollte ihn, er sackte förmlich in sich zusammen.
Mit schleifenden Schritten schleppte er sich durch den Flur und öffnete wahllos
einige Türen, bis er sich einen groben Überblick über die Architektur der Wohnung
verschafft hatte. Er betrat das Bad, wo er sich an frischen Handtüchern
bediente und das Regenwasser auf seiner Haut und seinen Haaren trocknete. Ein
wohliger Seufzer entglitt ihm, als er den warmen Frotteestoff auf seinem Körper
spürte, und es erstaunte ihn, wie herrlich sich die winzigen
Selbstverständlichkeiten des Alltags in ganz und gar nicht alltäglichen
Situationen ausnahmen.
    Er
stützte sich mit beiden Händen auf dem Waschtisch ab und schnitt seinem
mitgenommen aussehenden Konterfei im Spiegel Grimassen. Seine gebrochene Nase
sah scheußlich aus, obwohl das Blut längst fortgewaschen war, seine Wangen
waren eingefallen und unrasiert. Taoyama runzelte die Stirn und schob mit
beiden Händen seine Mundwinkel nach oben, sodass er sich selbst manisch zugrinste.
Wahrscheinlich würde Maria, wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, sie zu
retten, schreiend vor seinem Anblick die Flucht ergreifen. Taoyama stieß
ruckartig die Luft durch den Mund aus, drehte den Wasserhahn auf und schöpfte
sich einige Hände voll kalten Wassers ins Gesicht.
    Als
er das Bad verließ, hatte er nur ein schmales Handtuch um die Hüften geschlungen,
seine alten Kleider hatte er achtlos in eine Ecke des Badezimmers geworfen.
Nachdem er einige Blicke in die unterschiedlichsten Zimmer geworfen hatte,
betrat er einen Raum, bei dem es sich ums Schlafzimmer handeln musste. Dort
wühlte er sich durch einen Schrank, dem er robust wirkende Kleidung entnahm,
die der ehemalige Besitzer wohl für einen wackeren Wandermarsch erworben hatte.
Hemd und Hose waren ihm zwar deutlich zu groß, aber immer noch besser, als sich
eine Erkältung einzufangen.
    Nachdem
er sich auf diese Weise ausgestattet hatte, schlurfte er in die Küche –
mittlerweile war ihm die Anordnung der Räume so vertraut, als würde er seit Jahren
hier wohnen. Nachdem er den Blick über einige verbleichte Familienfotos auf

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