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Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Vogltanz
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Mirandas
Leichnam war niemals gefunden worden, aber Hansen hatte bald nach ihrem
Verschwinden eine Gedenkstätte für seine Liebste errichtet. Früher hatte er
diese regelmäßig aufgesucht, mit den Jahren waren seine Besuche allerdings
immer seltener geworden, bis sie irgendwann gänzlich ausblieben. Nun tat es ihm
leid, dass er seine Frau so schändlich im Stich gelassen, ja, fast vergessen hatte.
    Hansen
erreichte das abseits gelegene Steinmonument seiner Liebsten, und sein Blick
fiel auf die leeren Blumenvasen aus Messing, die der Wind umgeworfen hatte und
um die sich Efeu rankte wie ein leidenschaftlicher Liebhaber. Damals hatte er
diese Vasen noch mit frischen Rosen geschmückt – weiß, für die tote Liebe.
    Mitten
im Schritt hielt Hansen inne, als er eine Unregelmäßigkeit auf dem Grabmal vor
sich entdeckte. Jener Stein dort wirkte beinahe wie eine Hand, und jenes
Büschel Efeu hatte fast die Konsistenz und Farbe menschlichen Haars. Und hatte
sich etwas auf dem Gebilde nicht gerade ein wenig bewegt?
    Hansen
schnürte es die Kehle zu, mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die
Erscheinung in der hereinbrechenden Dämmerung – denn eine Erscheinung war es
zweifelsohne. Wie Dornröschen lag dort eine schlafende Frau auf den Steinen,
das lange, ungebändigte Haar verbarg ihr Gesicht, ihre Glieder waren mager und
von bleicher Haut umspannt. Sie trug kein einziges Kleidungsstück am Leib.
    Ein Geist , durchzuckte es den sonst streng
rationalen Mann, und ein eisiger Schauer ließ ihn frösteln.
    Da
hob die vermeintlich schlafende Frau den Kopf und sah Hansen unverwandt an.
Ihre Augen hatten die Farbe von geschmolzenem Honig, und obwohl sie sichtlich
zu Tode erschöpft war, übertraf ihre Schönheit alles, was er je zuvor gesehen
hatte. »Johannes.« Die Stimme war kaum mehr denn ein Wispern im Wind. »Ich wusste,
du würdest hierher kommen.«
    Hansens
Gedanken rasten, er spürte, wie seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. »Wer
sind Sie?«, fragte er heiser. »Was tun Sie am Grab meiner Frau?«
    »Johannes,
erkennst du mich denn nicht? Natürlich, es ist lange her, und ich bin älter
geworden, aber ...« Mühsam richtete sie sich auf und ging ein paar Schritte,
aber sie war noch zu schwach. Sie hatte die Entfernung zwischen ihnen beiden
kaum zur Hälfte zurückgelegt, als sie in die Knie brach und stürzte. Instinktiv
fing Hansen sie auf und hielt sie im Arm. Sie wog fast nichts, als wären ihre
Knochen hohl – wie die eines Vogels.
    »Ich
wollte dich allein sehen, Johannes«, flüsterte sie, »abseits der anderen. Nach
all den Jahren«, Tränen liefen an ihren Wangen herab, »nach all den Jahren ist
der Fluch endlich gebrochen. Andreas ist tot, und ich bin frei.«
    Er
hielt sie fest, starrte in ihre goldenen Augen. Und da erkannte er sie endlich,
und ein heftiges Schluchzen zerriss seine Lungen, als er die magere, zitternde Miranda
fest an seine Brust presste.
     
Einige Monate nach dem
Ende ...
     
    Kalter Schweiß
perlte auf seiner Stirn, als er zum wiederholten Mal über die raue Oberfläche
des Bucheinbandes strich. Seine Finger zitterten unkontrolliert, seine Zunge fuhr
wie ein eigenständiges Wesen über seine rauen Lippen. Seit jenem
schicksalhaften Tag war seine Welt in ewiger Dunkelheit versunken, nur die
Berührung dieses Buches verschaffte ihm Momente der Erleuchtung. Wann immer er
es anfasste, tauchten Bilder in seinem Inneren auf, stumme Geschichten, die wie
überbelichtete Fotografien durch seinen Kopf zogen. Er hatte geschworen, sich
nie mehr blenden zu lassen, und dieses Buch ließ ihn, wenn auch immer nur für
winzige Momente, wieder sehen. Am Anfang hatte er Angst vor dieser verbotenen
Magie gehabt, mittlerweile war sie zu so etwas wie einer Notwendigkeit
geworden, das einzige Mittel, um seinen geistigen und körperlichen Schmerz zu
lindern.
    Er
seufzte, ballte eine Hand zur Faust, sodass seine Fingernägel sich schmerzhaft
in seinen Handballen gruben.
    »Ich
mache noch das Feuer aus und gehe dann heim, Herr Freudt«, riss ihn die schnarrende
Stimme seiner Haushälterin aus seinen düsteren Gedanken. »Es ist schon spät.
Soll ich Sie noch ins Bett bringen?«
    »Lassen
Sie das Feuer brennen, Agnes«, kamen die Worte rau aus Freudts Kehle. »Dass ich
es nicht sehen kann, heißt noch lange nicht, dass ich seine Wärme nicht
genieße.« Vielsagend streckte er die Füße aus, an deren Sohlen er überdeutlich
die sengende Hitze des Kaminfeuers fühlte.
    »Passen
Sie bloß auf, Herr Freudt,

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