Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
konnte nicht ohne sie weitermachen. Und wenn sie nicht
bei ihm sein durfte, so würde er ihr nachfolgen.
Da
legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter. Kiro hob den Kopf, starrte aus
feuchten Augen in Hansens ernstes, blasses Gesicht.
»Sie
ist tot«, flüsterte Kiro erstickt. »Sie ist tot, und ich habe nichts getan, um
sie zu beschützen.« Seine eigenen Worte stachen wie glühend heiße Klingen in
sein Herz. Es auszusprechen, tat doppelt weh – er hatte sie sterben lassen, direkt
vor seinen Augen. Dabei hatte er ihr einst versprochen, immer über sie zu
wachen. Was war er nur für ein Beschützer?
Wortlos
ließ Hansen sich neben ihm in die Hocke sinken, tastete routiniert nach Lauras
Hals, als dachte er tatsächlich, es gäbe da noch einen Puls zu erspüren. Kiro
wollte auf ihn einschlagen, ihn anschreien, er solle das seien lassen, aber er
presste lediglich die Lippen zusammen und verkrallte seine Finger fester in
Lauras Kleidung, als hätte er Angst, jemand würde versuchen, sie aus seinem
Griff zu lösen.
Da
hob Hansen den Kopf und sah Kiro ernst in die Augen.
Und
plötzlich, vollkommen unerwartet, breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen
aus.
Kiro
öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton hervor. Er sah auf Laura herab, und
in diesem Moment begannen ihre Augenlider zu flattern.
»Wie
… wie ist das möglich?«, flüsterte Kiro ergriffen.
»Sie
war niemals tot, Junge«, sagte Hansen.
»Aber
… ihre Aura. Ihre Aura ist erloschen«, stammelte Kiro. »Ich spüre es ganz
deutlich.«
»Ja.
Weil Laura keine Magierin mehr ist.«
»Sie
ist … was?«
Das Erste, was ich
wahrnahm, als ich mühsam die Augen aufschlug, war Kiros tränenfeuchtes Gesicht,
das unmittelbar über mir schwebte. Ein schwaches Lächeln zuckte über meine Lippen.
»Kiro«,
hauchte ich.
Kiro,
der mich bislang einfach nur aus riesigen Augen angestarrt hatte, erwachte aus
seiner Erstarrung, drückte mich an seine Brust und hielt mich fest. Noch nie in
meinem ganzen Leben hatte sich etwas so richtig angefühlt.
»Du
lebst«, murmelte er in mein Haar. Ich hörte, dass seine Stimme tränenschwer
war. »Bei Gott, du lebst. Du hast ja keine Ahnung, wie viel Angst ich um dich
hatte.«
»Es
tut mir leid«, wisperte ich. Ich war so schwach, dass ich kaum die Augen offenhalten
konnte. Das Ritual hatte mich ausgelaugt, mir die letzten Reserven geraubt, und
nun hatte ich nur noch den Wunsch, zu schlafen.
»Was
tut dir leid? Rede nicht so einen Unsinn, Laura.« Kiro drückte mir einen Kuss
auf die Stirn, und seine frischen Tränen, diesmal der Freude, benetzten mein
Gesicht. »Geht es dir gut? Wie fühlst du dich?«
»Müde«,
murmelte ich und lehnte mich an Kiros warme Brust, genoss seine sanfte Hand,
die mein Haar streichelte. Der Klang seines regelmäßig schlagenden Herzens
wirkte beruhigend auf mich, lullte mich zusätzlich ein. »Furchtbar müde. Und …
leer.«
»Das
wird wieder«, hörte ich Hansens Stimme hinter mir, womit er wohl auf Kiros
besorgten Gesichtsausdruck reagierte.
»Es
ist ganz normal, dass sie erschöpft ist. Sie hat eine Menge durchgemacht.«
»Mir
ist so komisch«, sprach ich in Kiros Kleidung hinein. »Als wäre etwas fort, das
zuvor immer da gewesen ist. Was ist mit mir passiert?«
»Du
bist ein Mensch geworden, Laura.« Wieder Hansens Stimme.
»Ein
Mensch?«, echote ich.
»Ein
ganz gewöhnliches Mädchen, ohne magische Fähigkeiten«, fuhr Hansen fort. »Du
hast sie verloren, als das Ritual zu Ende war. Ich dachte zuerst, die
Beschwörung hätte dich getötet, aber es scheint vielmehr, als hätte nur der
magische Abschnitt deines Lebens geendet.«
»Ein
Mensch.« Ich konnte es noch immer nicht fassen, aber wenn ich in mich
hineinhorchte, spürte ich, dass Hansen recht hatte. Jenes Stück meiner Seele,
das einst Andreas gehört hatte, war ihm ins Jenseits nachgefolgt. Er hatte mich
freigelassen.
Plötzlich
lächelte ich wieder.
»Laura? Laura, was hast du?« Sorge trat in Kiros Gesicht.
»Ich habe keine
magischen Fähigkeiten mehr, aber ich liebe dich immer noch«, flüsterte ich.
»Das heißt, dass meine Liebe echt ist. Sie ist echt.«
»Ich habe keine
Ahnung, wovon du sprichst, aber es klingt ganz unfassbar schön«, sagte Kiro und
küsste mich lange und innig auf die Lippen.
Über
uns riss endgültig die Wolkendecke auf, und was jenseits der Klangarkaden zum
Vorschein kam, war das Schönste, was ich je gesehen hatte. Ein dunkelblauer
Nachthimmel erstreckte sich vom Horizont bis in die
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