Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
stand: »Beschwerdestelle der Gesundheitsbehörde«, rechts davon: »Anzeige aufgrund einer Fehlbehandlung.«
Sie begann zu lesen.
Louise Jasinski saß im Auto. Es ging auf elf Uhr zu. Das Wetter war grau. Um diese Jahreszeit wurde es nie richtig hell.
Sie wollte Kristina Luna, die ihren freien Tag hatte und sich bereit erklärt hatte, der Polizei ein wenig Zeit zu opfern, zu Hause aufsuchen. Darauf hatte sie auch gleich hingewiesen. Frau Luna hatte betont, sie sei sehr beschäftigt.
Vielleicht war ihr ein Besuch der Ordnungsmacht nicht sonderlich angenehm, das kam ab und zu vor, aber Louise hatte keine Lust, darauf Rücksicht zu nehmen. Sie wollte endlich vorwärtskommen.
Es sei nicht ganz einfach, die praktischen Seiten des Lebens zu bewältigen, wenn man nach Västervik pendeln müsse, hatte Kristina Luna am Telefon gesagt und umständlich erklärt, warum sie so gestresst war. Wahrscheinlich gehörte sie zu den Leuten, die sich immer für alles entschuldigen mussten.
»Siebzig Kilometer einfach, hundertvierzig hin und zurück, hat mir die Luna dann noch erklärt, als wüsste nicht jeder Mensch in Oskarshamn, wie weit es nach Västervik ist«, beklagte sich Louise bei Peter Berg, bevor sie ging.
»Ja, ja«, erwiderte dieser geduldig.
Sie bat ihn noch, sich bei dem Rechtsanwalt zu erkundigen, ob sich die Besitzverhältnisse der Drott Engineering AB jetzt geändert hätten.
Kristina Luna wohnte in Rödsle, einer Ansammlung Häuser westlich von Oskarshamn, einen Steinwurf von Svalliden entfernt, wo Louise früher gewohnt hatte. Dort habe ich erst neulich noch gewohnt, dachte sie wehmütig. Aber jetzt ist alles anders, überlegte sie rasch, denn sie wollte nicht wieder im Sumpf des Selbstmitleids versinken.
Ihr fiel ein, dass sie auf dem Rückweg noch ein paar Schrauben kaufen musste, denn sie hatte zu ihrer großen Zufriedenheit recht viele Regale zu Hause angebracht und musste ihren Nagel-, Schrauben- und Muttervorrat ergänzen.
Dieser Gedanke hob ihre Laune.
Im Dorf drosselte sie die Geschwindigkeit. Rödsle wirkte wie die meisten Orte mitten am Tag wie ausgestorben. Nur auf dem Schulhof wimmelte es von Kindern. Kristina Luna arbeitete in der Buchhaltung einer Pumpenfabrik, das hatte sie ihr am Morgen erzählt. Aber nicht deswegen wollte sie Kristina Luna, geb. Petersson, befragen, sondern weil sie angeblich die beste Freundin von Charlotte Eriksson gewesen war.
Louise bog in eine Straße ein, die Lidkroken hieß, und fand sofort das Haus, auf das die Beschreibung passte. Ein kleines Holzhaus mit großem Garten und einer Doppelgarage, vor der viele Fahrräder standen.
Es zeigte sich, dass Kristina Luna nicht weniger als fünf Kinder hatte. Auch das war ein Grund dafür, dass sie wenig Zeit hatte. Im Haus war es still.
»Die ganze Bande ist in der Schule«, meinte Kristina Luna fröhlich und ohne sich für das Durcheinander in der Diele zu entschuldigen.
Solchen Frauen gegenüber hatte Louise immer gemischte Gefühle. Sie beeindruckten sie, gleichzeitig wurde sie wahnsinnig eifersüchtig. So hätte sie auch sein wollen. Eine Frau mitten im Leben, die sich nicht der eigenen Bequemlichkeit hingab.
Aber war das alles nicht doch etwas zu viel? Die fünf Kinder und dann noch der Beruf? Und nicht genug damit, sie sah auch noch wahnsinnig gut aus!
Wahrscheinlich verbirgt sich da so einiges hinter der Fassade, dachte Louise missgünstig. Überall herrschte ein wahnsinniges Chaos.
Kristina Luna trug einen radikalen Kurzhaarschnitt, war fast mager und erinnerte mit ihrer tief auf den Hüften sitzenden Jeans an einen Jungen. Sie hatte die Figur eines Teenagers, ihre Bewegungen waren flink und geschmeidig. Man hätte sie in einer Illustrierten vorführen können unter dem Thema: »Alles ist möglich«, »Prioritäten setzen« oder »Die Kinder halten mich jung«.
»Charlotte und ich kannten uns von Kindheit an«, sagte sie und schenkte Kaffee ein.
Sie saßen in der engen Küche. Über der Küchenbank hingen Stundenpläne, Listen mit Dingen, die zu erledigen waren, und verblasste Fotos. Zwei lächelnde siebenjährige Jungen mit Zahnlücken. Zwillinge. Vielleicht hatten sie nach den Zwillingen aufgehört? Aus dreien waren plötzlich fünf geworden.
Louise fragte nicht. Stattdessen wandte sie sich sofort dem Thema zu: Charlotte Erikssons Tod.
»Wirklich schrecklich«, sagte Kristina Luna. »Wir sind zusammen aufgewachsen, doch in den letzten Jahren haben wir uns nicht mehr so oft gesehen, dafür aber
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