Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
haben, aber das sagte er natürlich nicht. Ich glaube nicht, dass es Harald ertragen hätte, noch länger zu warten. Ernst Drott war schließlich kerngesund. Und stur, von altem Schrot und Korn, sozusagen. Er wäre sicher hundert geworden. Aber Harald wäre vermutlich ausgeschert und hätte etwas Eigenes angefangen. Ich habe ihn allerdings nie gefragt. Aber er wollte auf jeden Fall weiterkommen. Da gab es keinen Zweifel. Aber das hat er Ihnen vielleicht schon selbst erzählt?«
Sie machte eine Pause, aber Louise sah sie nur wortlos an. Sie würde überprüfen müssen, ob etwas über den Autounfall vorlag.
»Glauben Sie, dass jemand einen Grund gehabt hat, Charlotte zu erschießen?«
Kristina Luna schien gewissermaßen die Luft anzuhalten.
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Nicht?«, beharrte Louise.
»Nein. Dieser Schuss muss ein Versehen gewesen sein. Kein Mensch hatte einen Grund, Charlotte auch nur ein Haar zu krümmen.«
»Jedenfalls war Charlotte ein sehr guter Mensch.«
Dann entgleisten Kristina die Züge, und sie brach in Tränen aus.
Louise schwieg einen Augenblick. Kristina Luna riss ein Stück Küchenkrepp ab.
»Gibt es etwas, wovon Sie glauben, dass ich es wissen sollte? Schließlich geht es um die Aufklärung eines Verbrechens«, sagte Louise, nachdem ihr Gegenüber sich geschnäuzt hatte.
»Ich finde es unbegreiflich, dass ausgerechnet jetzt so etwas passieren musste …«
»Wie meinen Sie das?«
»Charlotte schien sich in einer positiven Phase zu befinden.«
»Sie war vorher deprimiert?«
»Nein, eher etwas zurückhaltender, wie ich eben schon gesagt habe. Sie war nicht so wie früher, ich weiß schließlich, wie sie ist, wenn sie sie selbst ist.«
»Und was veranlasst Sie zu der Annahme, dass sie sich in einer positiven Phase befand?«
Kristina Luna schüttelte langsam den Kopf.
»Wir haben uns in den letzten Jahren nicht mehr alles erzählt.«
Louise wartete.
»Es war nicht so wie früher, da war es selbstverständlich, der besten Freundin sein Herz auszuschütten«, meinte sie zögernd. »Aber …«
Ihr Handy klingelte. Louise zog es aus der Hosentasche und stellte es ab. Die vertrauliche Stimmung war weg. Verdammtes Handy, dachte sie und versuchte, Kristina Lunas Blick zu begegnen.
»Irgendwas war im Busch, so viel kann ich sagen«, meinte sie schließlich.
Louise hatte noch nichts auf ihrem Block notiert. Jetzt malte sie eine liegende Acht, das Symbol für die Unendlichkeit.
Manches wiederholt sich. Immer wieder, dachte sie.
»Sagt Ihnen der Name Thomas Dunåker in diesem Zusammenhang etwas?«, fragte Louise.
Kristina Luna starrte ins Leere.
»Nein«, erwiderte sie dann knapp und schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Zusammenhang.«
Dann öffnete sie den Mund, als wollte sie eine Frage stellen.
»Das ist Ihr Bruder, nicht wahr?«, fragte Louise Jasinski und lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück, der leise knarrte.
»Aber er hat nichts mit Charlottes Tod zu tun«, sagte Kristina Luna und errötete plötzlich heftig.
Veronika hatte versucht, Ronny Alexandersson zu erreichen, der genauso lange wie sie an der Klinik arbeitete. Er war für sie ein Mann des Trostes. Sie wartete auf ihn.
In gewissen Situationen suchte man sich seine Vertrauten sorgfältiger aus als sonst.
Er hatte vier Kinder, seine Frau war Lehrerin, er spielte nicht Golf, ging auch nicht segeln, dafür war er Gärtner. Auf seinem Grundstück am Stadtrand hatte er einen riesigen Gemüsegarten angelegt.
Jetzt fiel ihr auf, dass er sie ein wenig an ihren Vater erinnerte. Zäh und zuverlässig. Kein Hallodri. Nicht besonders abenteuerlustig, höchstens im Kleinen. Erdverbunden.
Else-Britt hatte frei, Veronika wollte sie später zu Hause anrufen. Im Augenblick wollte sie das Trauerspiel mit niemandem erörtern, weder den Inhalt der Anzeige noch ihre eigene Rolle in dieser Angelegenheit. Früh genug würden sowieso alle davon erfahren. Sie musste sich erst noch eine Strategie zurechtlegen.
Jetzt stand sie am Fenster und blickte meditierend über die Dächer. Wahrscheinlich musste Ronny nur noch sein Mittagessen beenden. Sie hatte den Lärm der Kantine im Hintergrund gehört, als sie mit ihm telefoniert hatte. Sie selbst begnügte sich mit ihren Keksen. Die meiste Zeit war ihr ohnehin ein wenig übel. Sie hatte nicht vor, sich zum Kiosk oder in die Kantine zu begeben und sich unter die Kollegen zu mischen. Sie verkroch sich lieber in ihrem Büro wie ein Fuchs in seinem Bau.
Veronika
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