Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
einen anderen Arzt angeboten.
»Ich habe nicht den Wunsch, die Ärztin zu wechseln«, hatte er knapp erwidert.
Sie war gelinde gesagt erstaunt gewesen, aber sie wusste, dass es keine rechtliche Grundlage gab, ihn als Patienten abzuweisen. Seine verschlossene Miene hatte sie verunsichert. Wollte er testen, wie viel sie aushalten konnte?
Sie hatte ihm einen Termin für eine Gastroskopie gegeben und sich erkundigt, ob er noch weitere Fragen habe. Habe er nicht, hatte er geantwortet.
Fünfzehn Minuten waren vergangen, ohne dass ein Wort über seine Frau gefallen war.
Nachdem er gegangen war, war sie vollkommen erschöpft gewesen. Sie wusste nicht recht zu beurteilen, wie die Besprechung eigentlich verlaufen war. Sie brauchte keine Angst zu haben.
Während sie auf ihrem Rad die Straße entlang sauste, fiel ihr ein, dass sie eine gängige Frage ausgelassen hatte. Unter normalen Umständen hätte sie gefragt, wie es ihm momentan gehe. Ganz allgemein. Ob er gestresst sei.
Sie schaltete ihr Vorder- und Rücklicht aus, bevor sie in ihre Straße einbog. Hinter der Biegung sah sie ein Auto. Es parkte in einigem Abstand von ihrem Haus, aber mit gutem Blick auf ihr Grundstück und mit der Kühlerhaube in ihrer Richtung. Die Straßenlaternen standen recht weit auseinander. Mit etwas Glück und wenn sie sich beeilte, würden sie sie nicht bemerken. Das hintere Tor von Gruntzéns lag genau zwischen zwei Laternen im Dunkeln.
Sie verlangsamte die Fahrt, rollte aus und steuerte auf das Haus der Nachbarn zu. Sie wagte es nicht, zu dem Fahrzeug hinüberzuschauen. Dann stieg sie ab, um das Tor zu öffnen. Mit klopfendem Herzen drückte sie die Klinke herunter und schob das niedrige schmiedeeiserne Tor auf. Sie hoffte, dass die Angeln gut geölt waren.
Aber ein durchdringendes Quietschen ertönte und schien in der ganzen Straße widerzuhallen. Ihr Herz begann immer heftiger zu pochen. Unsicher schob sie ihr Fahrrad den Gartenweg der Nachbarn entlang. Er kam ihr unendlich lang vor.
Ihre Anspannung ließ erst nach, als sie die Schmalseite passiert hatte und die Rückseite des Hauses entlangging. In den Fenstern des buttergelben Einfamilienhauses, in das Gruntzén und seine erste Frau mit den beiden gemeinsamen Kindern vor einigen fahren eingezogen waren, brannte Licht. Leise Stimmen waren von innen zu hören. Vielleicht waren sie ja gerade beim Essen, also die neue Familie Gruntzén mit der neuen Frau, die er in Thailand kennengelernt hatte, und mit den beiden Kindern, die sie ihm in rascher Folge geschenkt hatte.
Vorsichtig lehnte Veronika ihr Fahrrad an die Hauswand, ging ein paar Schritte auf dem Kies weiter, dann trat sie auf den Rasen. Die Äste der Obstbäume schrappten über ihren Rucksack und schlugen ihr ins Gesicht, obwohl sie sich bückte. Sie schlich die Büsche an der Grundstücksgrenze entlang, dann zwängte sie sich hindurch. Stolpernd gelangte sie auf der anderen Seite wieder ins Freie und verharrte einen Augenblick, um Atem zu schöpfen. Sie meinte eine Autotür schlagen zu hören und wartete darauf, dass ein Motor angelassen würde, aber alles blieb still.
Dann ging sie auf ihr Haus zu. Ihr geliebtes Zuhause! Im Wohnzimmer brannte Licht. Sie steuerte auf die Verandatreppe zu.
»Sind Sie Veronika Lundborg?«
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Hinter den Johannisbeerbüschen stand jemand. Jetzt trat er auf sie zu.
»Ich würde gerne mit Ihnen sprechen«, hörte sie eine Frauenstimme. Im selben Augenblick wurde sie von einem Blitzlicht geblendet.
Gleichzeitig hörte sie Schritte aus dem Inneren des Hauses, und die Verandatür wurde aufgerissen.
»Was zum Teufel …«
»Es wäre wirklich besser, wenn Sie sich äußern würden«, sagte die Reporterin barsch.
»Wozu?«, fragte Veronika mit schwacher Stimme.
Da spürte sie, wie Claes sie am Arm packte. Er schob sie die Treppe hoch und zerrte sie ins Wohnzimmer. Dann knallte er die Tür zu.
»Die sind doch nicht ganz bei Trost!«, rief er.
Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Aber es war ein gutes Gefühl, dass es jemanden gab, der bedingungslos auf ihrer Seite stand.
Louise bestellte ein Rinderfilet, medium, und ein Glas Rotwein. Das passte gut zum Spätherbst.
An zwei weiteren Tischen saßen Gäste. Sie saß mit dem Rücken zur Tür und konnte daher nicht sehen, wer kam und ging. Das war gut. So war auch sie nicht sofort zu sehen. Nicht etwa, weil sie etwas hätte geheim halten wollen, aber es wurde immer so schnell getuschelt. Ehe sie es sich
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