Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
erwiderte er und grinste wie immer. »Ich hab ’ne Lieferung.«
Harriet hatte sich in die Schlange gestellt. Sara-Ida spürte, dass sie zu ihr herübersah.
»Jetzt muss ich aber weiter«, meinte Sara-Ida und stellte sich neben Harriet.
Es gab eine vegetarische Pastete oder Kartoffelklöße mit durchwachsenem Speck und Preiselbeeren. Eine schwere Entscheidung, auf beides hatte sie Lust.
»Wer war das?«, wollte Harriet wissen und nahm sich ein Tablett.
»Ach, nur jemand von meiner letzten Arbeitsstätte.«
Mehr wollte sie nicht sagen. Je weniger sie mit diesem Idioten in Zusammenhang gebracht wurde, desto besser.
»Kartoffelklöße«, sagte sie, nahm ihren Teller und zahlte.
Nachdem sie sich gesetzt hatten, sah sie sich im Speisesaal um. Er war voll, und das Stimmengewirr und Besteckklappern hallte im Raum wider.
Sie sah ihn nicht. Aber er kommt vielleicht, dachte sie und schob sich ein großes Stück Kartoffelkloß in den Mund.
Veronika Lundborg setzte ihren Fahrradhelm auf und zog ihr Fahrrad aus dem Ständer. Es war immer noch wunderbar warm, die Sonne schien, aber im Hinterland türmten sich dunkle Wolken auf. Sie legte ihre Jacke in den Fahrradkorb. Sie hatte sie am Morgen gebraucht, aber jetzt war sie überflüssig.
Sie hatte den Nachmittag frei. Freizeitausgleich für den langen Bereitschaftsdienst am Wochenende. Sie schwang sich aufs Rad und fuhr langsam Richtung Stadtbücherei. Sie wollte für Klara und für sich ein paar Bücher ausleihen, ehe sie ihre Tochter um drei aus dem Kindergarten abholte. Sie hatte ein paar freie Stunden ganz für sich.
Das Telefon klingelte. Es war der Kinderarzt. Er stellte sich vor, seine Stimme klang schon etwas älter, erfahren und Vertrauen erweckend. Claesson versuchte, sich an sein Gesicht zu erinnern.
Er kannte ihn vermutlich. Er war dem Kinderoberarzt einmal begegnet, als er mit Klara bei einer Routineuntersuchung gewesen war.
Dem Mädchen gehe es ausgezeichnet, erfuhr er. Sie sei kaum älter als einen Tag, höchstens ein paar Tage, da der Rest der Nabelschnur immer noch etwas durchsichtig war. Genau wie er vermutet hatte. Sie war unversehrt und sauber. Nina Persson hatte sich natürlich sehr gut um sie gekümmert.
»Die Nabelschnur trocknet langsam und wird dann schließlich nach einer Woche, spätestens aber nach drei, das ist etwas unterschiedlich, abgestoßen. Erst ist sie glänzend weiß und wird dann immer dunkler«, erklärte der Arzt. »Das Mädchen hat die typisch rosige Haut der Neugeborenen, da die äußeren Gefäße in der Haut noch offen sind. Aber da das Kind auf diese Art sehr viel Wärme verliert, schließen sich diese Gefäße nach einigen Tagen. Die Haut wird blasser, und das Kind ist so besser gegen Wärmeverlust geschützt.«
Claesson hörte zu und schrieb rasend schnell mit. Bei der Art, wie der Arzt über das Mädchen sprach, wurde es ihm warm ums Herz. Ihm war die kleine Matilda, dieses unerwünschte Kind, ein wirkliches Anliegen.
»Außerdem ist ihr Stuhl normal für ein Neugeborenes«, fuhr der Kinderarzt fort. »Sogenanntes Kindspech oder auch Mekonium, sehr dünnflüssig und grünlich schwarz.«
»Wie viel wiegt sie?«, fragte Claesson und war ebenso neugierig wie damals, als er neben der Pflegehelferin gestanden hatte, die Klara gewogen hatte, als sie gerade auf die Welt gekommen war.
»3380 Gramm. Sie ist 49 cm groß. Ganz normal für ein Neugeborenes, das bis zum Ende ausgetragen worden ist«, antwortete der Kinderarzt.
Claesson schrieb die Zahlen auf. Gewicht und Größe der kleinen Matilda, diese magischen Zahlen, die keine Eltern je vergessen.
Sara-Ida Ström war in den Wäscheraum unterwegs, um saubere Laken zu holen. Ein Patient hatte seinem Blasendrang nachgegeben, und sie hatten ihm eine Windel angezogen. Er war erst zweiundzwanzig. Das Schlimmste war nicht das Malheur an sich, sondern dass er sich so schämte.
Sie eilte den Gang entlang. Harriet wartete bei dem Patienten. Sie half ihm unter die Dusche.
Da sah Sara-Ida den jungen Arzt, der ihnen am Vormittag die Tür aufgehalten hatte. Endlich, sie hatte so auf diesen Moment gewartet!
Überrumpelt, aber auch ein wenig entsetzt starrte sie ihn an, als er sich vom Treppenhaus her näherte. Seit Stunden hielt sie jetzt schon nach ihm Ausschau, hatte ihn aber nirgends entdecken können. Umso lebhafter hatte sie sich dafür ihren Fantasien hingegeben. Ihre Gedanken liefen auf Hochtouren, und ihr wurde innerlich ganz warm. Sie versuchte an das Wenige, das
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