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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Wahlberg
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sie an diesem ersten, überwältigenden Tag auf der Chirurgie aufgeschnappt hatte, anzuknüpfen. Ein paar Sätze hütete sie wie einen Schatz. Sie unterlegte sie mit Fernsehserien’, die sie im Laufe der Jahre gesehen hatte und die jetzt ganz unten im Brunnen ihrer Träume lagen. Sie glaubte zu wissen, wie es zuging, fast jedenfalls. Alle verborgenen Geheimnisse des geschlossenen OP-Traktes lockten sie. Das Terrain der grüngekleideten Menschen, zu dem nicht jeder x-Beliebige Zutritt hatte.
    Aber er hatte Zutritt. Der junge Arzt mit dem durchdringenden und gleichzeitig entzückenden Blick hinter seiner Metallbrille.
    Sie sah ihn vor sich, wie er mit Mundschutz und Haube viele, lange Stunden im Schein der OP-Lampe schwitzte. Er hielt Leben und Tod in seinen behandschuhten, sterilen Händen. Er führte wichtige Eingriffe durch, ergriff Maßnahmen, die alles verändern und das Leben der Patienten viel erträglicher gestalten würden. Vielleicht heilte er sie sogar gänzlich. Sie sah ihn vor ihrem inneren Auge über die offene Operationswunde gebeugt, sah das Herz sichtbar pochen, sah, wie das Blut abgesaugt wurde, sah die Infusion, die Injektionsnadeln, die Injektionen.
    Jetzt war er fertig und hatte sich die grünen Sachen ausgezogen. Groß und aufrecht stand er in seinem weißen, zugeknöpften Kittel da. Der Gang schien plötzlich unendlich lang zu sein. Ihr wurde ganz weich in den Knien, und sie errötete über und über. Alles war wie im Film.
    Als sie sich gerade in den Lagerraum retten wollte, betrat er das Schwesternzimmer in der Mitte des Ganges. Das war eine Enttäuschung.
    Aber, dachte sie. Er hatte ihr in die Augen geschaut, bevor er aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden war. Und sie war seinem Blick nicht ausgewichen. Wie wenn sich zwei Sterne im Universum berühren und es zu einer Explosion kommt.
    Benommen taumelte sie in den Lagerraum, um die Wäsche zu holen, und kehrte dann pflichtschuldig zu Harriet zurück, bezog das Bett neu und half dann dem Patienten zurück ins Bett.
    Danach fühlte sie sich recht erschöpft.
    Harriet trug vermutlich Temperatur und Blutdruck in die Akte ein. Sara-Ida wartete währenddessen auf dem Flur und versuchte den Anschein zu erwecken, sie habe etwas zu tun. Sophie entdeckte sie dort natürlich und bat sie, bei der Patientin mit Schussverletzung das Essenstablett zu holen und ihr etwas Kaltes zu trinken zu bringen.
    Ein paar Minuten später öffnete sie daher die Tür des Einzelzimmers. In einer Hand hielt sie ein Tablett mit einer Kanne und einem Glas mit Eiswürfeln und Strohhalmen.
    Fünf Minuten später stürzte sie weinend aus dem Zimmer.

7
    W as dann kam, ließ sich Sara-Idas Meinung nach am ehesten als Tumult bezeichnen.
    Sie saß allein mit einer Tasse Kaffee im Personalraum, während alle anderen kopflos durcheinanderrannten. Nicht einmal im Pflegeheim hatte je so ein Durcheinander geherrscht. Aber dort hatte man auch stets mit dem Tod gerechnet.
    Der erwartete und der unerwartete Tod. Zwei sehr verschiedene Dinge, dachte sie. Der unerwartete Tod ist der schrecklichste. Jedenfalls wenn er so eintritt wie dieser. Über einen solchen Todesfall berichtete man in der Zeitung. Und über junge Leute, die ihr Leben bei Verkehrsunfällen ließen.
    Sara-Ida hatte Menschen unter ihrer Trauer zusammenbrechen sehen, selbst wenn es sich bei den Verstorbenen um sehr alte Menschen gehandelt hatte. Die Verbindung zur Vergangenheit reißt ab, wenn die Eltern sterben, egal wie alt sie sind, hatte Gertrud einmal gesagt, als sie einen sehr alten Verstorbenen gewaschen und frisch angezogen hatten. Sara-Ida hatte viel darüber nachgedacht, ob es gut oder schlecht war, dass sie dem Tod bereits so oft begegnet war. Das Entsetzen hatte sich verloren. Sie nahm ihn als eine Gegebenheit hin.
    Ihr war eingeschärft worden, das Kaffeezimmer nicht zu verlassen. Man würde sich um sie kümmern, hatte es geheißen.
    Später.
    Niemand wollte im Augenblick seinen Beobachtungsplatz auf dem Gang verlassen, um ihr Gesellschaft zu leisten. Keiner wollte etwas verpassen, nicht einmal die Patienten, die aufstehen konnten.
    Wie bei einem Unfall, dachte sie. Alles kommt zum Erliegen, und alle erstarren, bis die Klappe des Krankenwagens geschlossen wird. Oder jemand legt ein paar Blumen nieder und zündet eine Kerze an am Unfallort. Wie ein Grab.
    Sie wollte auch nach draußen. Wollte dort sein, wo etwas passierte.
    Die Patientin war sofort in den Behandlungsraum der Station geschoben worden. Sophie, Emma,

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