Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Handwerkerin oder Künstlerin zu sein, obwohl es natürlich auch seine angenehmen Seiten hat«, sagte sie unter Tränen. »Ich musste mir etwas dazuverdienen. Damals war ich allein, mittlerweile gleicht mein Mann das Minus teilweise aus.« Sie riss ein Stück Küchenkrepp ab und schnäuzte sich. »Ich begann also Kurse zu geben, Arbeit mit Farbe, Textilien, Aquarell, alles Mögliche. Sie erfreuten sich großer Beliebtheit, vielleicht weil die Gruppen überschaubar waren und sich alle einbringen konnten.«
Oder vielleicht auch, weil Sie so nett sind, dass alle gerne mit Ihnen zusammen sein wollen, dachte Louise.
»Diese Kurse liefen unter der Bezeichnung Kreative Kurse, weil ich alles wild durcheinanderwarf, Material und Stilrichtungen. Jedenfalls freundeten Charlotte und ich uns bei einem dieser Kurse an. Man könnte das vielleicht seltsam finden, weil wir so verschieden waren.«
Sie lächelte schief. Sie sah Louise an, als hoffe sie darauf, dass diese ihr widersprechen würde.
»Wie meinen Sie das? Ich habe Charlotte schließlich nicht gekannt, ich weiß also nicht«, meinte Louise.
»Wenn Sie ihr einmal begegnet wären, dann wüssten Sie genau, wie ich das meine«, meinte Alena gleichmütig. »Charlotte ist … ich meine, war … zurückhaltender als ich. Sie hatte einen klareren Stil, wenn man so will. Schicke, elegante und etwas teurere Kleider. Ich sehe auch recht anständig aus, wenn ich mir Mühe gebe, kann aber auch in Lumpen herumlaufen. Wie jetzt!« Sie schaute an sich herunter. »Aber Charlotte achtete darauf, nicht zu protzen. Sie war ein gutes Beispiel für den Ausdruck weniger ist mehr. Sie wissen schon, es ist nicht leicht, in einer Kleinstadt etwas Besseres zu sein. Aber ihr ging es gut. Sie war mit Geld aufgewachsen. Sie sprach nie darüber, aber es war spürbar, dass sie das irgendwie hemmte. Alle sollen immer so unauffällig sein, mausgrau und gleich. Sonst muss man es so machen wie ich, aufs Land ziehen.«
»Ist an diesem Abend bei Harriet Rot etwas Besonderes vorgefallen?«, fragte Louise.
Alena Dvorska schüttelte den Kopf. Kleine graue Löckchen schauten im Nacken unter dem Turban hervor. Er stand ihr und passte zu ihrem Image.
»Was hat Charlotte gesagt? Können Sie sich daran erinnern?«
»An diesem Abend eigentlich nichts Besonderes. Als wir aufgebrochen sind, hat sie auch nur Ciao gesagt.«
»Sind Sie gleichzeitig gegangen?«
Louise hatte vor, Harriet Rots Angaben zu überprüfen.
»fa. Ich schob mein Fahrrad den Kärleksstigen entlang, bis wir auf die große Straße kamen. Dann habe ich mich auf den Sattel geschwungen und bin nach Hause geradelt.«
»Bis hier raus?«
»Ich bin das gewohnt. Aber ich brauche eine gute Fahrradlampe, damit ich auf dem Weg überhaupt etwas sehe.«
»Angst bei Dunkelheit darf man auch nicht haben.«
»Nein. Aber wovor sollte man hier draußen schon Angst haben?«
Sie deutete aus dem Fenster. Die Wellen in der Badebucht schlugen an den kleinen Sandstrand. Es war so friedlich, wie man es sich nur vorstellen konnte.
»Sie können sich also an nichts Außergewöhnliches erinnern?«, beharrte Louise.
»Nein. Alle waren fröhlich. Wir hatten gut gegessen und Wein getrunken. Es war ein netter Abend, und wir unterhielten uns über alles Mögliche, bis wir uns trennten. Harriet erzählte von ihren Enkeln, und wir ließen uns überschwänglich über die Fotos aus.«
Louise nickte.
»Können Sie sagen, wer noch zusammen mit Ihnen ging?«
Alena Dvorska sah an die Decke und zählte die Namen auf. Außer Charlotte waren das noch Åsa Feldt und Susanne Lundwall gewesen.
»Eva-Karin Laursen war schon früher gegangen«, sagte sie.
Das stimmte genau mit den Angaben von Harriet Rot überein, die in der Akte in ihrem Büro im Präsidium lagen.
»Worüber haben Sie sich bei Ihrem letzten Gespräch mit Charlotte unterhalten?«
Alena Dvorska sah sie fragend an. Vielleicht war auch eine gewisse Vorsicht auszumachen.
»Sie haben mit ihr am Vormittag desselben Tages noch telefoniert. Also am Freitag.«
Alena Dvorska sah aus, als hätte sie etwas Unangenehmes verschluckt.
»Wir haben ihr Handy gefunden«, sagte Louise als Erklärung. »Wir wissen auch, dass Sie mit ihr am Tag vor dem Schuss gesprochen haben. Am Donnerstag. Worum ging es bei dem Gespräch?«
Die Antwort ließ auf sich warten.
»Wir vermuten da rein gar nichts«, beruhigte sie Louise. »Aber da es uns darum geht, ein Verbrechen aufzuklären, müssen wir routinehalber alle möglichen Fragen
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