Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 06 - Der Tröster
Västervik im Norden in eine eher platte, bäuerliche Landschaft weiter im Süden an der Grenze zu Blekinge überging. Die kannte sie sehr gut aus ihrer Zeit auf dem Gymnasium in Torsås. Große Flächen waren Naturschutzgebiet, das wusste sie, obwohl sie immer stur behauptet hatte, dass es ihr auf dem Land nicht gefalle.
Sie sah sich selbst als Stadtmensch. Sie mochte Städte. Richtige Großstädte wie Stockholm, New York und nicht zuletzt Kopenhagen. Aber sie war in typischen Kleinstädten aufgewachsen, und als sich ihr die Möglichkeit geboten hatte, in Stockholm zu bleiben, hatte sie das nicht wahrgenommen. So widersprüchlich war der Mensch eben.
Vielleicht wollte sie sich die Sehnsucht bewahren.
Sie ließ ihr Leben Revue passieren. Sie war in Motala zur Welt gekommen, aber in Boxholm in Östergötland aufgewachsen, einem Industriestandort mit etwa fünftausend Einwohnern, sieben Minuten mit dem Zug von Mjölby entfernt. Ihr Vater hatte im Stahlwerk gearbeitet, er war ein gewissenhafter und guter Schweißer gewesen. Ihre Mutter Gemeindeschwester. Sie hatte, soweit sie sich erinnern konnte, eine geborgene Kindheit gehabt. Ganz in der Nähe waren Wälder und Seen gewesen. Im Sommer hatten sie im Svartån, der durch den Ort fließt, gebadet. Manchmal waren sie mit dem Auto nach Malexander gefahren, um dort im klaren Wasser des Sommen zu schwimmen. Alles war sehr überschaubar gewesen.
Bis ihr Vater sich entschlossen hatte, Ingenieur zu werden. Er hatte als Erwachsener studiert. Noch heute bewunderte sie seine Ausdauer und seinen Fleiß. Sie hatte sich oft gefragt, wo er die Kraft hergenommen hatte. Er war ehrgeizig gewesen. Vielleicht hatte er sich ihrer Mutter, die eine wichtige Person im Ort gewesen war, auch unterlegen gefühlt. Louise hatte ihn nie gefragt.
Indirekt hatte das Studium ihres Vaters zur Scheidung geführt. Er hatte eine neue Frau gefunden, ein zweites Mal geheiratet und noch mal Kinder bekommen. Die zweite Frau war relativ wohlhabend gewesen, und ihrem Vater war es materiell recht gut gegangen. Ihre Mutter hingegen hatte es ziemlich schwer gehabt. Die neue Frau hatte den Kontakt zwischen Louise und ihrem Vater nicht gerade gefördert, phasenweise war er ganz abgebrochen. Dass er seine Kinder zugunsten des Familienfriedens verraten hatte, hatte sie ihm nie verzeihen können.
Es gab beunruhigend viele Parallelen zu ihrer eigenen Scheidung: Janos hatte Fortbildungen besucht, war immer weniger zu Hause gewesen und schließlich ganz verschwunden.
Ihre Mutter hatte sich geschämt und nicht in Boxholm bleiben wollen. Sie waren nach Högsby gezogen, in ein gottverlassenes Nest vierzig Kilometer westlich von Oskarshamn. Louise war dreizehn gewesen, und ihr hatten ihre Freundinnen aus Boxholm gefehlt. Außerdem hatte sie sich nach ihrem Vater gesehnt. Sie hatte sich ihr altes Leben zurückgewünscht. Es war ihr vollkommen gleichgültig gewesen, dass die Landschaft bei Högsby schön war und dass man auf dem Aboda Klint ganz in der Nähe Ski fahren konnte. Frische Luft hatte sie nicht interessiert. Schöne Natur noch viel weniger.
Sie hatte heimlich geraucht, sich auf Partys betrunken und war in schlechte Gesellschaft geraten. Sie hatte sich weggesehnt, aber nicht weggekonnt.
Ihre Mutter hatte gemerkt, was hinter ihrem Rücken vorging. Eines schönen Tages hatte sie verkündet, sie würden nach Blomstermåla umziehen, wieder so ein Nest und nichts für jemanden, der von Asphalt und Wolkenkratzern träumte. Der Ortswechsel war jedoch positiv gewesen. Louise hatte sich zusammengenommen und in der neunten Klasse so gute Noten gehabt, dass sie einen Platz auf dem Korrespondenzgymnasium in Torsås, vierzig Kilometer südlich von Kalmar, bekommen hatte.
Die Zeit in Torsås hatte die Wende gebracht. Sie hatte Freunde gehabt, die spannend, aber deswegen nicht gleich kriminell waren, ein wirkliches Novum.
Dann hatte sie, ohne nachzudenken und weil sie nicht so mutig gewesen war, die Schwesternschule in Växjö besucht, das war bei dem Beruf ihrer Mutter naheliegend gewesen. Diese hatte damals schon an Brustkrebs gelitten. Louise hatte versucht, sich einzureden, dass sie zur Krankenschwester berufen sei. Ihrer Mutter hatte dieser Beruf Spaß gemacht, warum hätte er ihr also nicht auch gefallen sollen?
Aber es hatte irgendwie nie gepasst. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie sich an der Polizeihochschule in Stockholm beworben, dort Janos Jasinski in einer Kneipe kennengelernt und sich bis über beide Ohren
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