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Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte

Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte

Titel: Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Wahlberg
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wohnten. Tagsüber verrieten dann die weißen Satellitenschüsseln vor den Höhleneingängen, dass die Moderne auch vor diesen Wohnstätten nicht Halt gemacht hatte. Seit Tausenden von Jahren hatten hier Menschen gelebt. »Höhlen sind kühl im Sommer und lassen sich im Winter leicht heizen«, sagte seine Mutter oft sehnsüchtig. Sie waren etwas anderes als die einfachen Baracken, die der Bürgermeister im Dorf errichten ließ. »Man soll nicht klagen.« Das sagte seine Mutter auch.
    Jetzt stand Ilyas etwas bedrückt neben Ergün. Eine leichte Meeresbrise strich über sein Gesicht. Er erinnerte sich, wie er mit seinen Freunden im Internetcafé gesessen und von einem Leben jenseits der Berge geträumt hatte. Sie hatten Englisch geübt, »Hello« und »very nice« zueinander gesagt und sich nichts sehnlicher gewünscht, als das stagnierende Dasein mit den alten Einwohnern, den Ziegen und den allein zurückgebliebenen Frauen zu verlassen, den Frauen, die nicht geheiratet hatten und denen nichts anderes übrig geblieben war, als sich ihrem Schicksal zu ergeben. Seine Freunde wollten nach Istanbul oder in einen der größeren Touristenorte an der Südküste, nach Alanya, Antalya oder Side.
    Er stellte sich die Gesichter seiner Freunde vor und überlegte sich, was wohl aus ihnen geworden war. Mit zwei von ihnen hielt er via Mail Kontakt. Sie waren nur bis Diyarbakir gekommen. Alles hing davon ab, Arbeit zu finden. Sie hatten mit ihren Verwandten überall in der Welt angegeben, die ihnen sämtliche Türen zur besseren Welt öffnen würden. Sie surften im Internet und schmückten ihre Träume aus, sobald sie ein paar Lira übrig hatten.
    Sie kamen immer im Sommer, die Verwandten, die ihr Glück gemacht hatten. Sie saßen am Steuer funkelnder Limousinen ohne Kratzer und Dellen, Mercedes oder Audi oder der neueste Volvo Kombi. Sie waren durch ganz Europa gefahren und kamen aus Deutschland oder Skandinavien. Sie kamen in ihr Dorf, um sich zu zeigen.
    Ilyas hatte kaum zu erwähnen gewagt, dass er noch weiter weg wollte als in eine der türkischen Großstädte. Er wollte in die USA oder nach Deutschland. Oder nach Schweden. Nicht in die Schweiz. Im Norden besaß er Verwandte. Dort sei das Leben gut, hatten sie gesagt. Ruhig, sauber, schön. Fast alle besäßen einen eigenen Wagen. Er konnte vielleicht sogar studieren, wenn er dorthin kam, zusammen mit seinen Cousins in Schweden.
    »Vielleicht fahre ich nach Schweden«, hörte er sich plötzlich zu Ergün sagen. Davon zu sprechen, in die USA zu fahren, kam selbst ihm übertrieben vor.
    Ergün sah ihn von der Seite zweifelnd an.
    »Ach. Und wie soll das gehen?«
    »Mein Cousin Miro, der in Südschweden wohnt, findet, dass das auch für mich ein guter Ort zum Wohnen wäre.«
    »Was du nicht sagst.«
    »Er hat eine Schwester. Sie ist also auch meine Cousine, und sie ist wahnsinnig hübsch«, fuhr Ilyas begeistert fort.
    »Ach«, erwiderte Ergün. »Und du glaubst jetzt, dass du sie heiraten kannst?«
    Ilyas schwieg. Nicht nur er war auf diesen Gedanken gekommen, dass aus ihnen beiden ein Paar werden könnte, aber das interessierte Ergün vermutlich nicht. Er schob den Gedanken weg, weil er ihn dann doch nicht so ansprechend fand. Er wollte noch nicht heiraten.
    Er bildete sich ein, dass alles von seinem Englisch abhing. Ohne Englisch kam man nicht weiter. Er gab sich Mühe und übte mit den Touristen auf der Fähre. Natürlich verhaspelte er sich immer wieder und musste nach Wörtern suchen, aber mit einem Lachen ließ sich das meiste lösen, und er lachte gerne. Er merkte, dass die Menschen ihn mochten. Das machte es leichter, Kontakte zu knüpfen.
    Er war ein guter Teeverkäufer. Einer der besten, die es auf der Fähre gab, scherzte Ergün, aber das sagte er vermutlich nur, um sich einzuschmeicheln. Es waren rund drei Monate vergangen, seit er in Istanbul eingetroffen war. Drei Monate im absoluten Zentrum der Ereignisse.
    »Jetzt hast du jedenfalls Wasser«, meinte Ergün und spuckte in großem Bogen über die Reling.
    »Hm …«
    Das stimmte. Jetzt hatte er Wasser. Das Marmarameer, das Goldene Horn und den Bosporus, durch den er inzwischen unzählige Male gefahren war. Die meistdurchfahrene Meerenge der Welt, die Europa von Asien trennte und die pulsierende Stadt in zwei Hälften teilte. Sechsmal legte die Fähre auf ihrem Weg Richtung Schwarzes Meer an, dann kehrte sie um. Auf jeder Fahrt waren zahllose Touristen an Bord. Von ihnen lebte er. Sie kauften Tee.
     
    Die Motoren

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