Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
wurden noch stärker gedrosselt. Die Möwenschwärme über ihnen kreischten, der Lärm der Stadt kam immer näher, quietschende Straßenbahnen, hupende Autos und an den Steigungen aufheulende Motoren.
Ergün hatte seine Zigarette schon lange zu Ende geraucht und die Kippe über Bord geschnippt. Dann war die Fähre zum Stehen gekommen.
»Nun müssen wir wohl wieder anfangen«, meinte Ergün schließlich.
Sie trennten sich. Ilyas sammelte die Teegläser ein, die auf Bänken und Tischen in den Salons und an Deck stehen gelassen worden waren.
Er war dankbar für diese Arbeit. Das war er wirklich. Einen langen und zähen Monat hatte er bei seiner Schwester und ihrem Mann weit draußen in einem Vorort gewohnt, bis ihm ein Verwandter diese Arbeit angeboten hatte. Seit zwei Monaten servierte er jetzt den Touristen Tee von einem runden Tablett. Jedes Glas stand auf einer Untertasse mit einem Stück Würfelzucker. Dampfender schwarzer Tee oder Apfeltee, der in Istanbul sehr beliebt war.
Der weiße Hemdkragen scheuerte, das Hemd klebte unter den Achseln am Körper, aber nur dort, denn er trug ein Unterhemd. Seine Schwester hatte ihm eines Morgens ein paar dünne Baumwollunterhemden gegeben, die den Schweiß aufsogen. Seiner Schwester war es wichtig, dass er ordentlich aussah, und ihm war das auch wichtig.
Er war beim Friseur gewesen und hatte sich das Haar im Nacken stutzen lassen. Die Zehnerkarte für ein recht heruntergekommenes Fitnessstudio in der Nähe der Wohnung seiner Schwester draußen in Avcilar hatte er noch nicht benutzt. Es tat weh, für einen dortigen Besuch eine Summe zu zahlen, von der man zu Hause in seinem Dorf nur träumen konnte. Er wagte es nicht, die Karte zu benutzen, obwohl ihm seine Kondition wichtig war. Tabletts tragen reichte nicht, wenngleich seine Beinmuskeln von dem ständigen Gerenne auf Deck von morgens bis spätabends ausreichend Training bekamen.
Inzwischen hatten sie angelegt. Er sah den letzten Passagieren hinterher, die sich auf dem Kai verloren. Dann kehrte eine kurze Ruhe ein, bis die nächsten Reisenden an Bord kamen.
Aber dann erblickte er einen Mann, der zurückgeblieben war. Er saß zusammengesunken auf einer Bank an der niedrigen Reling auf der Backbordseite und schien eingeschlafen zu sein. Vermutlich hatte er in der Hitze zuviel Raki oder Bier getrunken. Ilyas war aufgefallen, dass so etwas des Öfteren vorkam, und er schlenderte los, um den Mann zu wecken.
Er saß am Ende der langen Holzbank, die vor einem festgezurrten Rettungsboot endete, an dem er wie ein Sack Kartoffeln lehnte. Er war eine gepflegte Erscheinung, mit seiner hellen, von der Sonne geröteten Haut und seinem graublonden, lichten und ordentlich kurz geschnittenem Haar handelte es sich vermutlich um einen Deutschen. Das Kinn war auf seine Brust gesunken. Vermutlich schlief er tief. Der Mann trug eine helle Sommerhose, eine beige Popelinjacke und braune, sportliche Lederschnürschuhe, die vermutlich nicht von sonderlich vielen Herren seines Alters in der Türkei getragen wurden.
All das prägte sich Ilyas ein, während er hoffte, dass der Nachzügler nicht zu betrunken war, um ihn über die Gangway auf den Kai zu bekommen, ohne dass er dabei ins Wasser fiel. Schlimmstenfalls musste er jemand anderen von der Besatzung um Hilfe bitten. Das war schon hin und wieder vorgekommen. Es widerstrebte ihm immer etwas, sich mit diesen betrunkenen Herren abzugeben, die offenbar nicht mit Würde zu altern wussten. Der letzte Betrunkene hatte sogar in die Hose gemacht. So würde er nie werden, nahm er sich vor.
Plötzlich sah er sich einem anderen Problem gegenübergestellt. Er hatte gerade den Arm ausgestreckt, um den Touristen wachzurütteln, als sein Blick an dessen hellblauem Hemd hängen blieb. Dunkelrotes Blut hatte fast die ganze Hemdbrust durchtränkt.
Er zuckte mit der Hand zurück, als hätte er sich verbrannt, und blieb mit offenem Mund stehen. Fünf lange Sekunden vergingen. Ratlos, entsetzt und angewidert stand er da, sein Magen verkrampfte sich.
Aber er übergab sich nicht. Er beherrschte sich. Er beugte sich vorsichtig vor und griff unbeholfen die Hand des Mannes, die kraftlos auf seinem Hosenbein ruhte, um ihm den Puls zu fühlen. Vielleicht lebte er noch. Nervös und mit feuchten Fingerspitzen betastete Ilyas das Handgelenk des Mannes und versuchte sich darauf zu besinnen, ob man den Puls an der Ober- oder Unterseite spüren konnte. Seine Hand war jedenfalls noch warm. Es war wie verhext. Es schauderte
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