Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 07 - Tödliche Geschäfte
ihrer Sahnetorte, wie die Dorfbewohner ihre Sommerresidenz nannten, mit Türmchen und Zinnen und einer Glasveranda zum See.
Und dann war alles richtig schiefgegangen … der Vater hatte mit Wertpapieren spekuliert. In der Rezession der neunziger Jahre hatte er fast alles verloren. Vermutlich war er zu große Risiken eingegangen, glaubte Carl-Ivar. Die Mutter hatte nie gearbeitet, sie hatten immer auf großem Fuße gelebt, und Magnus hatte von allem immer nur das Beste gehabt. Jetzt konnte er aus seinem Elternhaus mit keiner Hilfe mehr rechnen.
Carl-Ivar und sie empfanden die Familie Öberg immer als recht unterkühlt. Der Vater war unberechenbar, manchmal war er herzlich, dann wieder cholerisch.
Als die Eltern nach Spanien zogen, tat Magnus alles, um den Schein zu wahren. Birgitta hegte jedoch den Verdacht, dass sein Kontakt zu den Eltern inzwischen sehr spärlich war.
Sie stellte das Glas auf die Spüle und ging wieder in die Sonne.
Sie dachte an ihre Enkel, an die kleine Olivia und an Ludvig. Sie hatten es sicher nicht leicht.
Ihr wurde es schwer ums Herz. Vielleicht werden sie so streng erzogen wie Magnus. Aber danach, wie seine Kindheit gewesen war, würde sie ihn vermutlich nie fragen. So innig war ihr Verhältnis nicht, sondern eher höflich distanziert.
Ihr fiel ein Patient ein. Gewisse Patienten vergaß man nie.
Der Gedanke an den kleinen Jungen schmerzte sie immer noch. Magnus und er waren sich sehr ähnlich gewesen und etwa gleich alt. Dunkles, lockiges Haar und Sommersprossen auf dem etwas blassen Näschen. Außerdem hatten beide Angst vor Schlägen, das merkte man einfach.
Damals, Ende der siebziger Jahre, war das Gesetz gegen Prügelstrafe erlassen worden.
Sie schämte sich fast dafür, dass sie sich zu den Leuten zählte, die das Gesetz unnötig fanden. Für Carl-Ivar und sie war ein solches Gesetz zumindest nicht vonnöten gewesen, denn sie hatten ihre Kinder nie geschlagen. Ein Klaps auf den Po oder eine Ohrfeige war schließlich noch keine Gewalt. Außerdem hatte ihr das früher auch nicht geschadet.
Zumindest verglichen mit ihrem Bruder. Ihm gegenüber war ihr Vater viel strenger gewesen. Söhne sollten gezüchtigt werden, so war das damals einfach gewesen. Lasse konnte einem leidtun.
Sie hatte ihre Ansicht geändert, als der zusammengeschlagene Junge in die Klinik eingeliefert wurde, dessen vollkommen übergeschnappter Vater der Ansicht war, eine Tracht Prügel könne nicht schaden.
Alle, die den Körper des jungen Patienten mit behutsamen Händen gepflegt hatten, waren dankbar gewesen, dass es ein Gesetz gegen solche Widerwärtigkeiten gab. Der Junge hatte einen Finger verloren. Der Vater hatte ihn mit einer Hufzange abgeknipst, weil der Vierjährige eine Flasche genommen und sie fallen lassen hatte. Er schrie wie am Spieß. Hätten die Nachbarn nicht eingegriffen, hätte er vermutlich noch weitere Finger verloren. Was die Flasche enthielt, wurde nie bekannt, aber vermutlich handelte es sich um Alkohol.
Der sonst stets freundliche Oberarzt kochte geradezu vor Wut bei dem Anblick des kleinen Patienten und war kaum wiederzuerkennen.
Später hatte Birgitta oft überlegt, was wohl aus dem Jungen geworden war. Er wurde nicht wie Magnus Öberg auf Rosen gebettet. Vermutlich wurde sein Vater bestraft, und das Jugendamt kümmerte sich so wie damals üblich um die Sache. Vielleicht kam der Junge zu einer Pflegefamilie oder in ein Kinderheim, vermutlich beides. Sie würde es nie erfahren.
Sie schwitzte, und ihr Haar klebte. Sie war vollkommen in Gedanken versunken. Ihr Magen knurrte. Sie erhob sich und ging ins Haus, um ein spätes Mittagessen einzunehmen.
8
Die Straße war trocken, die Sonne brannte.
Claes Claesson hatte die Sonnenblende heruntergeklappt, trotzdem blendete das gleißende Licht in den Augen. Er suchte mit einer Hand im Fach zwischen Fahrer- und Beifahrersitz nach seiner Sonnenbrille. Er fand sie und setzte sie auf.
Von Klara war kein Laut zu hören. Sie saß angeschnallt auf dem Kindersitz auf der Rückbank und hörte konzentriert zu. Aus den Lautsprechern drang Lennart Hellsings »Krakel Spektakel, Kusine Vitamine«. Dass man sich das immer noch anhören konnte!
»Papa, wir singen jetzt zusammen«, sagte sie. »Von Anfang an.«
Er stellte das erste Stück der CD an, und sie begannen zu singen:
»Krakel Spektakel
Kusine Vitamine
hing und pendelte in einer Gardine:
Denn juchhe und juchhu
in der Gardine geht’s zu!
Krakel Spektakel,
woran dachtest
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