Lust de LYX - Gesandter der Sinne (German Edition)
reden.« Nasir nickte zu dem Essen, dass er fallen gelassen hatte, als er seine Zelle betreten und sie schlafend auf seiner Pritsche vorgefunden hatte. »Wenn du Hunger hast, iss. Du hast mir den Appetit verdorben. Aber bleib unbedingt auf deiner Seite der Zelle. Und wenn sie dich morgen abholen, komm bloß nicht wieder.«
Er blies die Kerze aus, dann verzog er sich in seine Ecke und hockte sich auf die Decke, die er dort ausgebreitet hatte. Seine Flanke wurde von heftigen Schmerzen gemartert, und er war so erschöpft, dass er nur noch schlafen wollte. Gleichzeitig wusste er, dass er mit dieser Frau in seiner Zelle weder Ruhe noch Erholung bekommen würde. Zumindest nicht in dieser Nacht.
Für mehrere lange Minuten herrschte Stille, dann hörte er das Knarzen von Bettfedern, gefolgt von gewisperten Worten, die durch die Dunkelheit drifteten. »Es ist nicht mein Spiel.«
Nasir wusste nicht, ob sie das wirklich gesagt hatte oder er es sich nur einbildete, und es war ihm auch egal. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Nur ein schmaler Streifen Licht fiel unter der Tür hindurch und erhellte kaum mehr als ein paar Handbreit des Verlieses. Trotzdem erkannte er, dass die Frau das Essen, das er ihr angeboten hatte, nicht angerührt, sondern sich wieder hingelegt hatte. Nur dass dieses Mal – obwohl sie wie zuvor auf der Seite kauerte, die Hände unter das Gesicht geschoben – ihr schwarzes Kleid ihre Beine vollständig verhüllte und ihre Augen weit geöffnet und hellwach waren.
Er schloss seine eigenen, um die Frau auszublenden, und lehnte den Kopf gegen die Mauer. In seinem Geist sah er ihren entschlossenen Ausdruck, ihre grünen – wie er im Kerzenlicht registriert hatte – Augen, die wie Smaragde funkelten. Ihre rote Lockenpracht, die sich um ihre Schultern schmiegte, den tiefen Ausschnitt ihres schwarzen Kleids, der den Blick auf ein verführerisches Dekolleté freigab, den Träger, der ihr auf den Oberarm gerutscht war und geradezu darum bettelte, ihr vom Leib gerissen zu werden. Mit den Zähnen.
Allah, das würde eine verteufelt lange Nacht werden.
Nasir rieb sich mit der Hand durchs Gesicht, um den Schweiß wegzuwischen, der ihm auf der Stirn stand. Wenn sie handverlesen auserwählt worden war, um ihm den Kopf zu verdrehen, hatten sie gute Arbeit geleistet. Es lag nicht nur daran, dass sie heißer war als die Hölle – ihre anmutige Gesichtsform, die angedeutete Stupsnase, die betörenden Augen, dieser Körper, der, wie Nasir inzwischen wusste, dafür geschaffen war, berührt zu werden –, oder an der Tatsache, dass er seit Jahren ohne eine Gefährtin war. Nein, es war der Umstand, dass sie zwischen selbstsicher und ängstlich schwankte, dass sie sich behauptete, auch wenn sie nicht wusste, wie er reagieren würde. Dass sie zurückgekehrt war, trotz allem, was er ihr letzte Nacht angetan hatte.
Sie musste dumm sein, vielleicht hatte man sie einer Gehirnwäsche unterzogen – oder war sie schlichtweg verrückt.
Dies ist nicht mein Spiel .
Ein merkwürdiges Gefühl keimte in seinem Innersten auf und hielt seinen Gedankengang an. War sie aus freien Stücken hier? Oder hatte man sie gezwungen?
Nasir rekapitulierte jenen ersten Tag, als der Ghul sie nach vorn gestoßen hatte. Die schäbige Belustigung, die von dem Mann ausgegangen war; die Furcht, die er an der Frau wahrgenommen hatte. War sie auch nur eine Schachfigur in diesem Spiel, genau wie er?
Nur ergab das keinen Sinn. Sie war ein Ghul. Nicht nur das, sie war sogar ein hochgeborener Ghul.
Nicht alle Ghule sind schlecht .
Seine eigenen Worte spülten über ihn hinweg wie eine Welle über den Strand und ließen ein unheilvolles Frösteln über seinen Rücken rieseln. Als sich die flachen Atemzüge der Frau auf der anderen Seite der Zelle vertieften, driftete seine Erinnerung zurück zu jenen letzten Momenten, die er mit Talah verbracht hatte. Sie hatten auf den Klippen hinter ihrem Haus gestanden und auf das Meer hinausgeblickt, während die salzige Luft ihr die langen dunklen Haare aus dem Gesicht geweht hatte.
»Du sorgst dich zu viel, Nasir.«
»Es ist der Krieg meines Vaters, nicht meiner. Läge die Entscheidung bei mir –«
»Läge die Entscheidung bei dir, würde es ein Übereinkommen geben. Aber dein Vater hat recht. Die Ghule wollen keinen Frieden. Krieg ist der einzige Ausweg.«
»Nicht alle Ghule sind schlecht, Talah. Genau wie bei uns, sogar wie bei den Menschen, gibt es gute und böse Exemplare. Krieg ist keine
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