Lust kennt kein Tabu
Misstrauisch starrte Zienna ihre Freundin an und fragte sich, ob ihr der Wein, den sie gerade tranken, bereits zu Kopf gestiegen war. „Du solltest eigentlich bestätigen, dass Wendell ein Mistkerl ist.“
„Okay, Wendell ist ein Mistkerl, ein eingebildeter, anmaßender Mistkerl.“ Alexis lächelte tückisch. „Aber es hat dir gefallen?“
Zienna öffnete den Mund, brauchte jedoch zu lange für die Antwort, was Alexis prompt für den Beweis ihrer Theorie hielt.
Freudestrahlend klatschte sie in die Hände. „Oh, mein Gott! Es hat dir gefallen !“
„Im Ernst, Alexis, wie viel hast du getrunken, bevor ich hier war? Ich meine – was ist in dich gefahren? Wie du dich aufführst – als wärst du froh, wenn Wendell und ich wieder zusammenkämen. Obwohl du mich mit Nicholas bekannt gemacht hast. Oder erinnerst du dich nicht mehr daran?“
Alexis nippte an ihrem Wein, unbeirrt von Ziennas Verdacht, sie hätte schon zu tief ins Glas geschaut. „Sagen wir mal – ich habe inzwischen meine Meinung geändert. Jetzt verstehe ich, wieso es drei Jahre gedauert hat, bis du die Trennung von Wendell überwinden konntest.“
Zum ersten Mal an diesem Abend schob Zienna ihre eigenen turbulenten Gefühle beiseite und musterte ihre Freundin etwas genauer. Dieses zufriedene Gesicht hatte sie schon lange nicht mehr gesehen.
„Gibt es etwas, das du mir verschweigst?“, fragte sie.
„Ich bin mit Brock ausgegangen“, hauchte Alexis verträumt. „Beim Dinner in einem gemütlichen Lokal hat er total süß und sexy mit mir geflirtet. Danach gingen wir in sein Apartment … Und diese Nacht hat alles, was bisher war, in den Schatten gestellt“, gestand sie und grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Nie hätte ich so was für möglich gehalten.“
„Du hast schon mit Brock geschlafen? Nach so kurzer Zeit? Wann ist das passiert?“
„Letzte Nacht.“ Offenbar konnte Alexis gar nicht mehr aufhören zu lächeln. „Mein Gott, das ist genau der Sex, den ich gesucht habe. So aufregend wie deiner damals mit Wendell.“
Zienna spürte ein winziges Prickeln im Bauch und versuchte, es zu ignorieren. An diesem Abend hatte sie ihre Freundin in der Hoffnung besucht, sie würde ihr helfen, die Begegnung mit Wendell in der richtigen Perspektive zu sehen, die Vergangenheit endgültig zu begraben und sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Stattdessen erreichte Alexis mit ihren Worten nun das genaue Gegenteil.
„Deshalb weiß ich, dass du heute bei Wendells Kuss etwas gespürt haben musst“, betonte Alexis. „Weil der Sex mit ihm damals so sensationell war, wie du’s immer beschrieben hast … Komm schon, erzähl’s mir.“
„Also gut“, stimmte Zienna zu. Vielleicht würde es ihr besser gehen,wenn sie sich die schreckliche Wahrheit von der Seele redete. „Du willst wissen, wie ich mich gefühlt habe? Als wäre ich vier Jahre lang nicht geküsst worden …“ Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, meldete sich ihr Gewissen. „Ich liebe Nicholas. Wirklich. Mit Wendell – das ist nur Lust.“
„Lust kann sehr machtvoll sein.“
„Nur wenn man sich von ihr beherrschen lässt. Und das habe ich nicht vor.“
„Aber wenn Wendell sich nicht geschlagen gibt? Nach allem, was du gesagt hast, will er dich zurückhaben. Also wird er sich wahrscheinlich immer wieder an dich ranmachen. Was wirst du dann tun?“
Mit dieser Frage hatte Zienna nicht gerechnet. Irritiert starrte sie vor sich hin. „Was ich tun werde? Ich werde ihn ignorieren …“
„Ist das möglich?“
„Klar“, behauptete Zienna. Doch das Wort fühlte sich auf ihren Lippen wie eine Lüge an.
„Bist du sicher? Vielleicht wird Wendell dir ein Angebot machen, dem du nicht widerstehen kannst.“
Nicht was Alexis sagte, verwirrte Zienna, sondern wie sie es aussprach. Wäre es ein Triumph für sie, wenn Zienna bei Wendell schwach werden würde?
„Ich werde jetzt alles vergessen, was du gerade gesagt hast“, entgegnete Zienna.
„Kannst du Wendells Lippen auf deinen auch vergessen?“ Alexis schaute sie eindringlich an.
„Hast du eigentlich vergessen, dass ich meine Beziehung mit Nicholas dir verdanke?“ Allmählich wurde Zienna wütend.
„Umso besser erinnere ich mich, wie verrückt du nach Wendell warst. Du warst rettungslos verknallt. Jetzt ist er wieder da, und so, wie’s aussieht, will er dich immer noch. Klar, er hat dir wehgetan. Aber ich verstehe den Konflikt, in den er damals geraten ist. Pam war schwanger, er wollte seine Pflicht erfüllen.
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