Lust kennt kein Tabu
gestorben.“ Beinahe brach seine Stimme. „Letztes Jahr. Er ist ertrunken.“
„Nein …“ Wie Dolchstöße schienen die Worte Ziennas Brust zu durchbohren. Sie sah die schmerzliche Trauer in seinem Gesicht – und spürte sie in ihrem eigenen Herzen. „Oh Wendell, das tut mir so leid.“
Seine Finger streichelten das goldene Kreuz. „Das ist alles, was mir von Jeremiah geblieben ist, seine Asche in diesem Anhänger.“
Schon früher hätte es ihr auffallen müssen – das Kreuz war nicht flach, sondern zylindrisch geformt wie die Sorte, in der man eine kleine Menge von der Asche geliebter Verstorbener verwahren konnte.
Entschieden schüttelte sie den Kopf. „Das ist nicht alles, was von ihm geblieben ist“, widersprach sie und legte eine Hand auf ihre Brust. „In deinem Herzen lebt er weiter. Und das kann dir niemand wegnehmen.“
Nur für einen kurzen Moment wich Wendell ihrem Blick wieder aus. Dann schaute er ihr in die Augen. „Ich wusste, du würdest diesen Schmerz verstehen. Weil du deine Eltern verloren hast.“
Ziennas Gedanken kehrten zu der Nacht zurück, in der sie ihm vom tragischen Tod ihrer Eltern bei einem Autounfall erzählt, in seinen Armen geweint und seinen Trost so dringend gebraucht hatte. Während jener schweren Zeit war er für sie ein Fels in der Brandung gewesen und hatte ihr Leid mit ihr geteilt. Jetzt schnürte ihr die Erinnerung an das schreckliche Unglück noch immer die Kehle zu.
„Was mir genommen wurde, lässt sich nicht mit dem Verlust eines Kindes vergleichen“, erwiderte sie. „Für dich muss es ein vernichtender Schlag gewesen sein.“
Wendell schien krampfhaft zu versuchen, sich zu fassen. Das gelang ihm nur teilweise – seine Augen begannen, verräterisch zu glänzen.
„Verdammt“, flüsterte er und straffte die Schultern. Bis er die qualvollen Emotionen bewältigte, dauerte es eine Weile. „Ich habe meinen Sohn geliebt. Und jetzt gibt es ihn nicht mehr. Kurz danach trennte ich mich von Pam. Nicht, weil ich wütend auf sie war, obwohl sie das glaubte. Gewiss, sie hätte auf den Jungen aufpassen müssen, als er ertrank. Sie vergaß, das Gatter im Schutzzaun des Swimmingpools zu schließen, und er fiel hinein … So etwas passiert nun mal, und es nützt nichts, jemandem die Schuld zu geben. Vielleicht war es einfach Jeremiahs Schicksal.“
Was es ihn kostete, diese Worte auszusprechen, spürte Zienna. Wie konnte man jemals den Tod eines Kindes akzeptieren?
„Ein Jahr nahm ich mir Zeit für meine Trauer. Nachdem ich mich einigermaßen gefasst hatte, kam ich hierher zurück.“ Wieder entstand eine längere Pause. „Ich – ich hoffte, du würdest begreifen, warum ich dich verlassen habe. Damals konnte ich’s dir nicht erklären.“
Ihr Herz raste. Warum sagte er das? Glaubte er, sie könnten wieder zueinanderfinden? War das möglich?“ Wendell, ich bin mit Nicholas zusammen. Mit deinem Freund.“
Nonchalant zuckte er die Achseln. „Das habe ich inzwischenherausgefunden. Leider etwas zu spät.“ Er lächelte. Aber es wirkte gezwungen.
Zienna starrte ihn verwirrt an. Was zum Teufel meinte er mit dieser Bemerkung? Doch im nächsten Moment entschied sie, dass sie es gar nicht wissen wollte. Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
Nein, sie durfte sich nicht fragen, was er meinte, was er bezweckte. Ebenso wenig durfte sie überlegen, ob sich zwischen ihnen alles ganz anders entwickelt hätte, wäre Pam nicht schwanger geworden.
„Dein schwerer Verlust tut mir sehr leid. Wirklich, Wendell. Aber wenn du vorschlägst … Keine Ahnung, was du vorschlagen könntest. Nur eins weiß ich – ich habe mir eine andere Zukunft aufgebaut.“
Mehr brachte sie nicht über die Lippen, bevor sie sich abwandte und aus dem Café flüchtete. Draußen sog sie die warme Frühlingsluft tief in ihre Lungen. Ein Instinkt verriet ihr, wieso es für Wendell so wichtig gewesen war, mir ihr zu reden. Aus einem ganz bestimmten Grund, über den sie nicht nachdenken wollte.
Weil sie jetzt glücklich war. Mit Nicholas.
„Zienna!“
Ihr Name, Wendells Stimme … Gegen ihren Willen blieb sie stehen. Langsam drehte sie sich um. Verdammt, warum musste er so unglaublich gut aussehen?
Zielstrebig ging er zu ihr. „Noch immer fühle ich mich sehr stark zu dir hingezogen, Zienna. So, jetzt habe ich’s gesagt. Ich weiß, das sollte nicht sein. Du gehörst zu Nicholas. Aber ich kann nichts dagegen machen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Außerdem warst du zuerst
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