Lust kennt kein Tabu
Während du wieder mit Wendell zusammen warst, hast du geradezu gestrahlt. Als würdest von innen her erleuchtet, von neuen Lebensgeistern erfüllt. Natürlich klingt das kitschig. Aber anders kann ich es nicht beschreiben.“
„Ja, ich habe eine aufregende Affäre genossen“, stimmte Zienna leise zu. „So wie du mit Brock. Und wohin hat es mich geführt? Zwischen zwei Männer, und einer wurde meinetwegen fast getötet.“
Alex warf ihr einen bedeutsamen Blick zu. „Nein, das lässt sich nicht vergleichen. Ich habe mit Elliott Schluss gemacht, weil ich geglaubt habe, ich würde was anderes brauchen. Und du bist zu Wendell gerannt, weil er der Mann war, den du immer wolltest. Deshalb vermute ich, du hast dich wegen deiner Schuldgefühle für Nicholas entschieden. Und aus diesem Grund solltest du keinesfalls bei ihm bleiben. Selbst wenn du nicht mit Wendell zusammen sein willst. Das ist die ehrliche Meinung deiner Freundin, die dich fast dein Leben lang kennt.“
„Vielleicht musste ich einfach nur zu schnell erwachsen werden. Ich bin über dreißig. Und mein Partner wurde wegen meiner Affäre beinahe ermordet.“
„Vorhin hast du gesagt, du würdest Wendell gern für unschuldig halten. Besinnst du dich schon wieder anders?“
„Ich bin verwirrt!“ , fauchte Zienna. „Gestehst du mir das bitte zu? Selbstverständlich will ich nicht glauben, Wendell wäre zu so einer schrecklichen Tat fähig. Aber was ich zu erklären versuche – ein solches Ereignis kann einen ganz plötzlich verändern. Vorher war ich mir Nicholas’ wegen nicht ganz sicher. Jetzt bin ich es.“
„Wirklich?“, konterte Alexis.
„Ja. Und es missfällt mir, wenn du dich so aufführst, als würdest du mich besser kennen als ich mich selber.“
Nun entstand eine kurze Pause, bevor Alexis sich verteidigte: „Hör mal, ich versuche dir nur einen Denkanstoß zu geben. Und ich will sicher keine Miesmacherin sein.“
„Gut. Noch mehr Stress kann ich nämlich nicht gebrauchen. Zugegeben – ich fühle mich schuldig. Aber ich habe mich davon unabhängig für Nicholas entschieden.“
„Wahrscheinlich bin ich nur so misstrauisch, weil ich dich lieber etwas glücklicher sehen würde.“
„Erst gestern wurde Nicholas niedergestochen. Hätte ich ihn etwas später gefunden, wäre er gestorben. Nie im Leben hatte ich größere Angst. Verzeih mir, dass ich keine Champagnerkorken knallen lasse.“
Alexis hob beide Hände, um ihre Kapitulation zu bekunden. „Tut mir leid. Ich weiß, ich mach dir alles noch schwerer. Aber ich werde dieses Gefühl nicht los, Nicholas könnte sich irren.“
„Jetzt reicht’s.“ Zienna schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
„Okay, okay, ich halte den Mund.“
„Nicholas’ Eltern und seine Schwester haben gesagt, sie würden um halb acht gehen. Sicher fragt er sich schon, wo ich so lange bleibe.“ Ohne ihre Freundin anzuschauen, ohne sie zu umarmen, ergriff Zienna ihre Handtasche. „Bis später.“
Als sie die Cafeteria verließ, warf sie keinen einzigen Blick zurück. Alexis’ Skepsis war das letzte, was sie jetzt brauchte
Auf dem Weg zum Krankenzimmer beschloss Zienna, sie würde sich sofort auf das Klappbett neben Nicholas legen und die Augen schließen. Es war ein langer Tag gewesen, erfüllt von angespanntem Warten auf weitere Testresultate, die bestätigen sollten, dass der Genesungsprozess des Patienten ohne Komplikationen verlaufen würde.
Zwischendurch hatte Zienna viel zu oft Nicholas’ schmerzverzerrtes Gesicht gesehen. Immer wieder ließ die Wirkung der Medikamente nach. Natürlich würde sie an seiner Seite bleiben. Wo sollte sie denn sonst sein?
Sie öffnete die Tür.
„… und wie oft soll ich’s noch sagen?“ Nicholas’ Stimme klang ärgerlich. Dann verstummte er – offenbar, weil er Zienna entdeckt hatte. Neben dem Bett saßen die Detectives D’Alessandro und Ford, die ebenfalls zur Tür schauten.
„Oh, verzeihen Sie“, bat Zienna, „ich wollte nicht stören.“
„Die Polizei hat noch ein paar Fragen“, erklärte Nicholas. „Keine Ahnung, wie lange das dauern wird. Weißt du was? Warum fährst du heute Abend nicht nach Hause?“
Die Detectives hier? So spät am Abend? Das fand sie seltsam, doch sie fragte nur: „Soll ich wirklich schon gehen, Nicholas?“
„Jetzt ist es fast neun. Und du hast mir erzählt, du würdest morgen wieder arbeiteten. Ja, fahr heim und schlaf dich aus.“
„Haben Sie Wendell inzwischen gefunden?“, wandte sie sich an die
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