Lustig, lustig, tralalalala
aber, weil der Doktor mich auf eine Idee gebracht hat.
«Führen Sie ein Tagebuch aller gesehenen Fernsehsendungen und fragen Sie sich manchmal, ob Sie die einzelnen Beiträge innerhalb einer Folge Stern TV noch einmal als Filme für sich bewerten und deren jeweilige Autoren aufschreiben müssen?»
«Ja.»
«Haben Sie schon mal eine Inventur Ihres Gartens inklusive der Unkrautpflanzen gemacht?»
Ich heule auf: «Jaaaa.»
Dr. Gorlek lächelt: «Gut, dann sehe ich für Sie beste Aussichten.»
***
Nur eine Woche später hat Dr. Gorlek bei der Krankenkasse meine vorweihnachtliche Zwangsneurose durchgesetzt undbeim örtlichen Arbeitsamt zwei Helfer für mich beantragt. Beides war sehr leicht, da Dr. Gorlek mit dem Filialleiter der Krankenkasse segeln geht und den zuständigen Sachbearbeiter Schorlemmer vom Arbeitsamt beim Straßenfest im Oktober auf der Toilette der Gaststätte Wolfsjäger bei unehelichen Vergnügungen erwischt hatte. Außerdem sei die Bereitstellung kostenfreier Haushaltshelfer seitens des Amtes ohnehin kein Problem. «Die stapeln sich doch sowieso hier im Flur und reißen uns den Putz von den Wänden», soll Schorlemmer gesagt haben. «Seit der Krise können wir uns vor Tagelöhnern nicht mehr retten.»
Und so stehen nun am Morgen des 23. Dezember zwei junge Männer vor meiner Haustür, die ich mit zu Schlitzen verklebten Augen öffne, weil mir überhaupt nicht gut ist. Ich habe sämtliche noch vorhandenen Medikamente geschluckt, damit die Schublade leer wird. Dr. Gorlek hätte diesen Vorschlag nie machen sollen. In meinem Magen öffnen sich die Schleimhäute und würgen rostige Nägel hervor, mein Mund schmeckt nach Blei und Asbest, und neben dem Beet mit der verdorrten Big-Daddy-Pflanze steht auch noch Hermann und beobachtet, wie ich den jungen Männern öffne. Morgen früh kommen Frau und Schwiegermutter her. Und nichts ist fertig.
«Wer seid ihr?», frage ich und sehe von einem zum andern.
«Eure Gehilfen», antworten sie.
«Es sind die Gehilfen», bestätigt leise der Nachbar.
Ich reibe mir die Stirn.
«Vom Amt», sagen die Gehilfen.
«Kommt rein», sage ich.
Zwei Stunden später sitzen die beiden Gehilfen mit eifrig aufgerissenen Augen zwischen den 504 ungelesenen Büchern und schmökern. Ich habe Kaffee gemacht und sie bislang beobachtet.Ich fühle mich, als würde ich träumen. Meine Füße sind taub. Ich hänge wie ein Kissen ohne Füllung auf der Couch. Die Gehilfen lesen.
«Es ist schwer mit euch», sage ich und vergleiche immer wieder ihre Gesichter. «Wie soll ich euch denn unterscheiden? Ihr unterscheidet euch nur durch die Namen, sonst seid ihr euch ja ähnlich wie Schlangen.»
Was rede ich denn hier?
«Wir sind eigentlich Musiker», antwortet der eine. «Wir spielen auch Weihnachtslieder. Auf der Gitarre.»
Ich antworte nichts, da mein Kopf pocht. Eigentlich müsste ich mich übergeben, aber das geht nicht, da sich unter den Medikamenten, die ich noch vor Jahresende eingeworfen habe, auch ein ganzer Streifen Vomex befand. Ich beobachte die Gehilfen noch eine halbe Stunde beim Lesen, dann sage ich: «Das ist doch Schwachsinn. So könnt ihr mir nicht helfen. Ich muss das selbst gelesen haben, sonst bin ich doch nicht befriedigt.»
«Wir können es dir zusammenfassen», sagen sie.
«Das ist nicht dasselbe!», brülle ich und erschrecke selbst. «Bring mir ein Telefon», sage ich, und der eine der beiden, Artur, holt mir den silbernen, kabellosen Hörer. Ich wähle die Nummer von Dr. Gorlek. Er geht sofort ran, da er an einer Sekretärin spart, um kein Geld zu verlieren.
«Gorlek?»
«Herr Doktor, Broich hier. Mir ist da gerade so ein Gedanke gekommen. Wäre es nicht eigentlich Ihre Aufgabe als Therapeut gewesen, mich von meinem Zwang zu befreien, statt mir Helfer senden zu lassen und mich auf die Idee zu bringen, meine ganzen restlichen Medikamente zu fressen?»
«Sie haben …?»
«Ja, sicher habe ich. Sie können doch einem Zwangsneurotiker so was nicht sagen und sich dann wundern, dass …»
«Stopp, stopp, stopp, Herr Broich, jetzt bitte ganz ruhig. Ich werde diese negativen Energien von Ihnen jetzt nicht an mich ranlassen. Ich gebe sie Ihnen in aller Freundlichkeit zurück.»
«Sie können meiner Krankenkasse das Geld für die Sprechstunde zurückgeben, Herr Doktor! Ich habe hier 120 Pillen im Bauch, und zwei Zwillinge vom Amt lesen stellvertretend meine Bücher, was mir gar nicht hilft.»
«Herr Broich, ich gehe mit meinen
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