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Lustig, lustig, tralalalala

Lustig, lustig, tralalalala

Titel: Lustig, lustig, tralalalala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Morgowski
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mal gehabt, aber wir haben immer gesagt: Das lohnt sich nicht.»
    Ich lege die Sechskantschrauben oben auf den Kasten mit den vielen kleinen Fächern und bin sehr deprimiert, da ich für sie keine freie Nische finde und sie zugleich nicht irgendwelchen anderen Sorten zuordnen will. Ich überlege, ob sie abgenutzt genug sind, um weggeschmissen werden zu können. Sind sie nicht. Ich überlege, ob ich sie irgendwo verarbeiten könnte, aber mir fällt nichts ein. Hermann löst eine Hand locker aus der Verschränkung vor seiner Brust und lässt seinen Zeigefinger nach oben steigen, sodass er eine kleine Sprungschanze bildet. Die Fingerspitze zeigt auf den Holzgiebel unseres Daches. «Bei Schröer haben sie jetzt sehr gute Allwetterfarbe im Angebot.»
    Ich atme tief ein und kneife die Augen zusammen. Ich habe es in diesen Tagen sowieso schon schwer genug.
    Hermann lacht. «Dem Senfke haben sie diesen Sommer seinen Giebel gestrichen, weil er achtzig Prozent Schwerbehinderung hat. Hier, so Gehilfen vom Arbeitsamt. Du musst nur was haben, schon kannst du dir einen Gemütlichen machen.»
    Ich öffne die Augen wieder, halte Hermann die Schrauben hinund sage: «Kannst du zwei Sechskantschrauben gebrauchen?» Er lacht so krümelig und stolpernd, als wolle er nicht mal für den Spott zu viel Energie verschwenden. Ich schließe die Faust um die Schrauben, werfe sie unter Schmerzen zu den großen Kreuzschlitz und sage: «Ich muss jetzt drinnen weitermachen!» Hermann tritt langsam zurück, damit ich die Garage schließen kann, und empfiehlt sich mit einem «Mhuuruwrar», das wie ein Gewitter in Island klingt.
     
    Im Haus liegen auf dem Wohnzimmerfußboden neben der Regalwand 497   Bücher ausgebreitet. Unsere Regalwand ist groß. Sie fasst rund 5000   Bücher, und ich bin mir daher nicht sicher, ob es wirklich nur diese 497 sind, die ich immer noch nicht gelesen habe, oder ob ich damit noch zu niedrig liege. Ich bin die Sammlung schon seit Tagen durchgegangen und frage mich bei manchen Werken, ob man sie überhaupt in eine Kategorie wie «gelesen/nicht gelesen» einordnen kann. Muss man ein Lexikon komplett gelesen haben? Ein Wörterbuch? Eine Anleitung zum Erstellen von Fensterbildern? Und selbst wenn nicht, was mache ich mit den 489   Romanen, Sachbüchern und Biographien, die immer noch übrig bleiben? Obwohl ich weiß, dass es unmöglich ist, habe ich den Drang in mir, sie alle noch in den nächsten vier Wochen zu lesen. So, wie ich die 82 ungehörten CDs hören, die 49 ungesehenen DVDs sehen und die 32   Videospiele zu Ende spielen will, bei denen jedes einzelne für sich schon eine geschätzten Umfang von 20   Stunden hat. Ich will alle unausprobierten Kochrezepte einmal kochen, sämtliche Klamotten auf weitere Tragbarkeit überprüfen, und wäre meine Frau da, würde ich noch einmal jedes Brettspiel spielen, bevor neue dazukommen. Doch sie ist bei ihrer Mutter, und ich verstehe das. Man kann mich nicht ertragen in der Adventszeit,denn ich habe ein Syndrom, das keinen medizinischen Namen trägt und das meine Frau und alle anderen Menschen auf der Welt nur in seiner vernünftigen Form kennen. Ich bin ein Vor-Weihnachten-alles-fertig-haben-Woller. Die Betonung liegt bei mir auf
alles
. In seiner gesunden Form bedeutet diese Haltung, dass man zwischen den Jahren einen leeren Wäschekorb haben will. Oder ein sauberes Auto. In seiner pathologischen Form sitzt man verzweifelt vor 497 ungelesenen Büchern und wird verrückt, weil die Sechskantschrauben kein eigenes Fach bekommen können.
     
    «Briiiiiööööööööög!»
    Es klingelt.
    Ich stehe vom Wohnzimmerboden auf und gehe an die Tür. Es ist die scheue Perserin von Hermes. Die scheue Perserin von Hermes kommt alle paar Tage, denn hauptberuflich bin ich Journalist, was unseren Nachbarn Hermann an normalen Tagen veranlasst, draußen vor der Tür laut brummend «Nimm mal die Hände aus den Taschen!» zu sagen, obwohl er es ja ist, der in der Cordhose mit Gummizug vor der Tür herumlungert und nicht ich, der bloß der Perserin aufmacht. Die Perserin hält mir den Unterschriftencomputer für meine Sendung vor die Nase. Ein großer weißer Karton. Ich ahne es schon. Ich unterzeichne. Über die persische Schulter sehe ich auf Hermanns Wiese einen großen Hasen stehen und mit dem rechten Ohr wackeln.
    «Danke», piepst die Perserin, und ich schließe die Tür, stelle das Paket auf den Küchentisch, schneide es auf und sehe, was ich befürchtet habe. Das Anschreiben lautet:

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