Lustig, lustig, tralalalala
Dunkelblau trägt. Wirklich, es ist erstaunlich. Fast alle seine Klamotten sind dunkelblau. Wenn er was Neues kauft, denkt man immer: Hä? Das haste doch schon? Aber nein – nur mein Bruder ist in der Lage, Dunkelblau von Dunkelblau zu unterscheiden. Da gibt es ja wahnsinnige Unterschiede in den Blaunuancen. Egal, ich habe ihm jedenfallsein Hemd in Dunkelblau genäht, mit allem Zipp und Zapp: Knopfleiste, Manschetten, Kragen. Das Einzige, was ich irgendwie vergessen hatte, war der Kragensteg. Kennt ihr Kragensteg? Das ist der schmale Stoffstreifen, der den Kragen eines Hemdes mit dem Hemd verbindet. Der dient dazu, dass den Managern nicht der Kopf wegknickt. Man braucht ihn eben. Aber ich hatte keinen Kragensteg. Der Kragen saß schon dran, Stoff hatte ich auch nicht mehr, und außerdem war der Geburtstag meines Bruders extrem morgen! Also beschloss ich, dass ich ihm das Hemd einfach ohne Kragensteg schenken würde. Das würde mein Bruder doch gar nicht bemerken, er ist doch ein Junge! Ansonsten sah das Hemd tippotoppo aus. Mein Bruder packte es an seinem Geburtstag aus und freute sich tatsächlich sehr. Im zusammengefalteten Zustand sah man ja auch nicht, dass der Steg fehlte. Natürlich bestand ich darauf, dass er es sofort anzog – wie dumm von mir, wurde ich doch auf diese Weise Zeugin der entwürdigenden Feststellung, dass man an einem Hemd nun mal einen Kragensteg braucht, wenn man normal gebaut ist. Es kam, was kommen musste: Der Kragen saß an diesem Hemd in Ermangelung eines Steges so tief, dass mein Bruder fast ein kleines Dekolleté hatte. Nur wenn er die Schultern ganz doll hochzog – fast bis zu den Ohren –, dann saß das Hemd ganz okay. Darauf bestand ich ebenfalls. Ein paar Stunden hielt er sich tatsächlich daran. Ich weiß nicht, ob aus Höflichkeit oder aus Mitleid. Irgendwann bekam er Muskelzucken von dieser unnatürlichen Haltung und riss sich mein Machwerk vom Leib mit den Worten: «Mirja – es tut mir leid, aber ich kann dieses Hemd nicht tragen. Ich habe nun mal einen Hals!» Mist! Aber weil ich es nicht einfach so wegschmeißen wollte, dachte ich kurz nach, welche halslosen Menschen ich so kenne. Schließlichgab ich das Hemd an Rainer Calmund weiter. Der trägt es heute noch – als Einstecktuch.
Diese Schmach wollte und konnte ich natürlich nicht auf mir sitzenlassen und beschloss, meinem Bruder zu Weihnachten das ultimative Geschenk selbst zu basteln. Ich hatte in einem Möbelhaus einen Stummen Diener gesehen. Kennt ihr Stumme Diener? Das sind so lebensgroße Skulpturen, die ein Tablett tragen, auf dem man Post oder Schlüssel oder dergleichen ablegen kann. Genau so was wollte ich für meinen Bruder machen. Eine riesige Herausforderung! Ein stummer Diener in Lebensgröße! Nachdem ich einmal tief in mich gegangen war, kam mir gleich die zündende Idee: Es gibt doch so Puppen in Lebensgröße, die die Arme im rechten Winkel nach vorne ausstrecken … Puppen! Na? Habt ihr ’ne Ahnung, von welchen Puppen ich spreche? Na, kommt! Die haben den Mund gaaanz weit offen, so als wenn sie singen würden. Herrgott nochmal, jetzt stellt euch nicht so an! Ich rede von Gummipuppen, Sexpuppen, Lustpuppen – schnackelt’s jetzt? Alle männlichen Leser, deren Frauen gerade von hinten beim Lesen über eure Schulter glotzen und mitlesen (ist das nicht ’ne Horrorangewohnheit? Finde ich auch beim Zeitungslesen total indiskutabel. Ich kriege einen Vogel, wenn mir jemand von hinten die Buchstaben aus der Zeitung wegglotzt. Wenn ich nur daran denke, könnte ich spontan ausflippen) … für alle diese Männer gilt jetzt natürlich die Faustregel: das Buch senken, die Frau mit großen Augen ansehen und fragen: «Was meint die Autorin? Was sind aufblasbare Puppen in Lebensgröße? Kenne ich gar nicht!» Ansonsten sollte ja jetzt wirklich allen klar sein, wovon ich spreche.
Ich wollte also einfach nur eine Sexpuppe kaufen und sie dann eingipsen, um meinem Bruder einen 1-a-Stummen-Diener zu basteln. In derselben Sekunde wurde mir das große Umsetzungsproblembewusst: Wie bitte sollte ich da vorgehen? Sollte ich etwa in einen Sexshop in Köln hineinstiefeln, den Verkäufer schief angrinsen und sagen: «Guten Tag, mein Name ist Mirja Boes, und Sie kennen mich vielleicht aus Funk und Fernsehen. Ich würde jetzt gerne bei Ihnen eine Sexpuppe kaufen, weil ich sie eingipsen möchte!» Ne, also das geht doch nicht! Also bin ich in Köln in einen Sexshop gegangen und habe zum Verkäufer gesagt: «Tach –
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