Lustnebel
vor nahm Rowena ihre Umgebung kaum wahr und vertraute ihrem kätzischen Schutzengel. Die wenigen Laute, wie das Blöken von Schafen oder das Muhen von Rindern, das Plätschern eines kleinen Bächleins in der Nähe, verschluckten die Nebelschwaden. Allein durch das Moor zu wandern, mit einer Katze als Führerin, mutete Rowena seltsam an. Doch gleichzeitig wusste sie, dass sie sich auf Miau verlassen konnte. Bestimmt hielte der Ton sie für verrückt, aber inzwischen glaubte sie, das Tier könnte ihr Schutzengel oder ein dienstbarer Geist sein, wie Chayton nach ihrem Schwitzhüttenritual behauptet hatte, vielleicht sogar von Claire zu ihr gesandt. Bei dem Gedanken an Claire verkrampfte sich Rowenas Herz.
Die Katze leitete Rowena unbeirrt durch die nebelverhangene Landschaft. Jedes Mal, wenn sie außer Atem geriet oder ihr Bein zu sehr schmerzte, stoppte Miau, putzte sich genüsslich oder wälzte sich auf dem Boden.
Alice und sie hatten ein tüchtiges Stück Weg zurückgelegt, ehe die Situation explodiert war. Verletzt und durch die Wetterlage behindert, schien sich die Entfernung zu verdreifachen. Als sie an einem Weidemäuerchen vorbeikamen, nutzte Rowena die Gelegenheit und ließ sich darauf nieder. Sie wischte sich über die Stirn und zupfte an ihrem Rock. Der Stoff war durchweicht, doch dank mehrerer Schichten hatte die Nässe noch nicht ihre Haut erreicht. Lediglich die Kehrseite ihres Rocks erwies sich als feucht vom Moorwasser, wie sie bemerkte. Die Sicht klarte langsam auf. Zumindest nahm Rowena dick verschleierte Schemen war, wo zuvor eine undurchdringbare weiße Wand gewesen war.
Miau stolzierte vor Rowena auf und ab, nie außerhalb ihrer Sichtweite, doch mit einem sehnsüchtigen Blick hinaus in das verhangene Nichts, als nähme sie dort Dinge wahr, die Rowena verborgen blieben. Rowenas rechtes Bein zitterte unkontrolliert. Dumpfer Schmerz breitete sich pochend vom Knie sowohl Richtung Oberschenkel als auch zu den Zehen aus. Ihr rechter Schuh drückte unangenehm am Spann, obwohl er sonst wie angegossen passte und dieses Paar zu ihren bequemsten gehörte. Zu gern hätte Rowena sich einige Momente Erleichterung gegönnt, doch sie fürchtete, nicht wieder in ihre Schuhe schlüpfen zu können, hätte sie sich einmal daraus befreit.
Miau gab einen ungeduldigen Laut von sich, dessen Penetranz und Verständlichkeit zunahm, als Rowena nicht sofort dem Drängen nachgab. Seufzend erhob sie sich und überlegte, wie weit der Weg nach Barnard Hall sein mochte. Zwar sagte ihr Gefühl, dass sie nicht einmal in der Nähe waren, doch sicher war sie nicht. Zu fremd war ihr die Umgebung, zu unheimlich wirkte alles im Nebel. Sie hüpfte und hinkte ihrem Schutztier hinterher und merkte schon nach wenigen Minuten, dass sie in ihrem augenblicklichen Zustand kaum in der Lage wäre, noch lange zu marschieren. Einige Schweißtropfen kullerten ihren Nacken hinunter. Rowena hob ihre Hand und wischte über ihren Hals. Ein Duft stieg ihre Nase, der sie entfernt an Honig erinnerte.
Unwillkürlich begann ihr Herz zu pochen. Vor ihr tauchten Sträucher mit trompetenförmigen Blüten auf, und eisiges Stechen peinigte ihren Magen. Sie vergaß ihr verletztes Bein, und prompt gab das Knie unter ihrem Gewicht nach. Rowena hatte den falschen Weg eingeschlagen. Sie stand am Rande des Grundstückes zu Greystone Cottage, dem Anwesen der Cuthberts. Momentan der letzte Ort, an dem sie sich aufhalten wollte.
Tränen des Schmerzes und der Erschöpfung und Verzweiflung brachen sich die Bahn und rollten wie heiße Sturzbäche über ihre Wangen.
Kapitel 11
Mögen alle meine Fehler sich auf ihre Plätze begeben
und möglichst wenig Lärm dabei machen.
Inuit-Spruch
Die Katze hockte sich aufrecht vor einen der Sträucher und starrte Rowena aus ungläubig wirkenden Augen an, ehe sie anfing, sich zu putzen. Sie schleckte über ihre weiße Pfote und wischte sich über Gesicht und Schnurrhaare, rieb die Ohren, ehe sie sich genüsslich streckte und rekelte. Dann sah die Katze erneut zu Rowena hoch, diesmal wohnte der Musterung Mitleid bei. Sie schlenderte zu Rowena und strich ihr um die Füße, indem sie unter den Saum ihres Rockes kroch und sich schnurrend um ihre Knöchel schlängelte. Der Katzenkörper war warm, weich und flauschig. Als Miau sich einen Moment lang bewegungslos an sie drückte, fühlte Rowena das Vibrieren ihres befellten Leibes. Dann schlüpfte das Tier unter ihren Kleidern hervor und sauste unter die Büsche. Es
Weitere Kostenlose Bücher