Lux Aeterna (German Edition)
behielt er dabei in der Hand. Das graumelierte Haar hatte er zu einem langen Zopf zusammengebunden. Eisblaue Augen durchbohrten den jungen Mann, der ihm gegenüber saß. „Ich habe kein Interesse daran, die Vereinbarung mit den Regierungen der Menschen zu brechen“, begann der alte Meister wieder. „Daher lege ich die Entscheidung in deine Hände, mein junger Freund.“
Jason wusste genau, was der Vampirfürst meinte. Ein Biss von ihm würde ihn erneut zum Vampir machen, zu einem seelenlosen, schwarzen Engel. „Ich habe allerdings nicht viel Zeit, ich möchte noch vor dem Morgengrauen wieder in meiner Heimat sein“, sagte der Fürst bestimmt. „Ich gebe dir also eine Stunde Bedenkzeit!“
Jason verließ wortlos den Raum und ging in sein Zimmer. Er musste sein Schicksal alleine aushandeln. In Liobas hübschem Gesicht war dagegen eine Art Vorfreude zu erkennen.
Zu gleicher Zeit hatte es Rita sich in ihrem kleinen Haus gemütlich gemacht. Leise Musik spielte. Ein paar Kerzen brannten. Ein Glas Rotwein stand vor ihr auf dem Tisch. Sie trug ein hübsches Kleid und war zurechtgemacht, als wollte sie noch mit einem netten Begleiter ausgehen, doch das Gegenteil war der Fall. Dort, wo sie hinwollte, wartete niemand auf sie. Sie betrachtete den kleinen spitzen, silbernen Gegenstand vor ihr.
Es war der Dolch der Hekate, den ihr die tote Vampirin Laetitia einst gegeben hatte, um Jason von dem Vampirmeister Polignac zu befreien. Es war eine geweihte Waffe, um die alten Meister zu töten, doch wenn sie einmal benutzt worden war, konnte kein anderer Vampir sie mehr berühren. Aber sie konnte eine Unsterbliche töten!
In der gleichen Stunde, in der die Liebe zu Rita in Jason siegte und er sich dem Vampirfürsten als Opfer anbot, hob seine Freundin in Hamburg den Dolch hoch über ihr Herz und stieß ihn mit aller Kraft hinein.
In dieser Stunde holte sich die Verdammnis zwei Seelen: die von Rita Hold, die aus eigener Kraft ihrem Leben ein Ende setzte, und die von Jason Dawn, der in Liobas Armen erneut zum Vampir erwachte. Schöner und stärker als zuvor. Die kleine Wunde an seinem Hals hatte schon aufgehört zu bluten.
Jason konnte nicht ahnen, dass er durch die Bisse zweier Meister und eines Grenzgängers zu etwas ganz besonderem geworden war, zu einem Fürsten der Vampire. Seiner jetzigen Macht war er sich selbst noch nicht bewusst.
Dafür war ihm dieses Dasein nur zu gut vertraut. Nie wieder schlafen, nie wieder essen und der unerträgliche Hunger nach Blut. Das künstliche Blut aus Liobas Kühlschrank stillte sein Verlangen danach nur vorübergehend. Der junge Mann fühlte sich wohl, nahezu unbesiegbar und war wieder von jeder geheimnisvollen, faszinierenden Aura umgeben, die jedes irdische Wesen in seiner Nähe dahin schmelzen ließ. Dagegen brachen die ungewöhnlich starken Sinne erneut durch, und sein schlanker Körper verfügte über die Geschmeidigkeit eines Geparden. Jasons dunkle Augen musterten die hübsche Frau, die da in einem sündhaft kurzen Kleid vor ihm stand.
Der alte Meister hatte sie beide verlassen, noch bevor Jason als Vampir erwacht war. Jetzt erwachte etwas anderes in Jason – ein ganz bestimmtes Verlangen, und Lioba spürte es. Sie hatte sich so nach seiner Berührung gesehnt. Mit Wonne ließ es zu, dass er über sie herfiel und kostete diesen Triumph voll aus.
In dieser Nacht feierte der Teufel ein wahres Freudenfest.
Als Untoter, dessen Seele verloren war, verspürte Jason Dawn keinerlei Reue oder gar so etwas wie ein Gewissen. Er wusste nicht einmal genau, was genau ihn zurückzog in dieses unscheinbare Haus in Hamburg. Es schien unbewohnt. Ein paar ungeöffnete Briefe stapelten sich im Briefkasten. Der Name der Empfängerin kam ihm wohl bekannt vor.
Es war die Stimme des Kommissars auf dem Anrufbeantworter, die ihm eine Erklärung gab: „Jason, wenn Sie das Band abhören, bitte melden sie sich. Rita hat gestern Abend Selbstmord begangen. Wir konnten nichts mehr für sie tun.“ Diese Nachricht war bereits eine Woche alt.
Bei diesen Worten kamen die Erinnerungen langsam zurück. Die Erinnerungen an die Menschen, die ihn die letzten Monate begleitet hatten, an die Frau, die ihm wieder eine Seele geschenkt hatte, die Erinnerungen an die Gefühle, die er längst verloren geglaubt und wieder neu leben durfte. Aber er hatte jetzt keine Tränen. Er hatte nur seinen Zorn. Einen unbändigen Zorn, der ein Ventil brauchte. Er wollte nur noch weg hier. Jason zog es nach Paris und
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