Luzifers Hammer
Wasser. Der Regen war kühl genug, so daß sich ihr Rücken klamm anfühlte, dort, wo das Wasser in ihren Mantel eingedrungen war. »Warum müssen Sie hier oben sein?«
»Wachdienst. Da drüben ist ein Verschlag. Los, gehen wir aus der Nässe!«
»In Ordnung.« Sie folgte ihm am Grat entlang. Er drehte sich nicht um, um nach ihr zu schauen, und sie folgte passiv.
Fünfzig Meter weiter waren ein paar Steinbrocken aneinandergelehnt. Darunter war ein rohes Fachwerk aus Holz und Plastikfolien aufgebaut. Das Innere war nur durch das trübe Licht des Nachmittags erleuchtet. Die Einrichtung bestand aus einer Luftmatratze und einem Schlafsack, die auf dem Boden lagen, und aus einer Holzkiste, die als Stuhl diente. Ein Pfahl war in den Boden getrieben und mit Haken versehen worden. Und an diesen Haken baumelte ein Signalhorn, eine Plastiktüte mit Taschenbüchern, ein Feldstecher, eine Wasserkanne und ein Imbiß.
»Willkommen im Palast«, sagte Harvey. »Hier, ziehen Sie Ihren Mantel aus und trocknen Sie sich ein bißchen.« Er sprach ruhig und ganz natürlich, als ob nichts Besonderes daran wäre, daß er sie mutterseelenallein an einer Felsklippe in einem Gewitter aufgelesen hatte.
Der Unterschlupf war geräumig, man konnte darin aufrecht stehen. Harvey schälte sich aus seinem Poncho und seinem Regenhut, dann half er ihr aus dem Mantel. Die nassen Sachen hängte er an Haken in der Nähe des offenen Eingangs auf.
»Was wollen Sie bewachen?« fragte Maureen.
»Gewissermaßen den Hintereingang.« Er zuckte die Achseln.
»Bei diesem Regen ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß irgendeiner hier heraufkommt oder daß ich einen Eindringling erblicke, aber wir mußten diesen Unterstand bauen.«
»Wohnen Sie hier?«
»Nein. Wir wechseln uns ab. Ich, Tim Hamner, Brad Wagoner und Mark, manchmal auch Joanna. Wir wohnen alle dort unten. Haben Sie das gewußt?«
»Ja.«
»Ich habe Sie nicht gesehen, seit wir da sind«, sagte Harvey.
»Ich wollte Sie schon ein paar Mal aufsuchen, aber ich hatte den Eindruck, daß Sie für mich nicht zu sprechen sind. Und ich war im großen Haus nicht gerade willkommen. Danke jedenfalls, daß Sie für mich gestimmt haben.«
»Wieso das?«
»Der Senator sagte mir, Sie hätten dafür gestimmt, mich aufzunehmen.«
»Sie sind willkommen.« Die Entscheidung fiel ihr leicht. »Ich schlafe nicht mit jedem, der mir über den Weg läuft. Selbst wenn du seinerzeit in Panik geraten und davongelaufen bist, war es trotzdem nett, und ich bereue nichts. Das meine ich ehrlich. Wenn ich mir genug aus dir gemacht habe, um mit dir zu schlafen, so mußte ich, zum Kuckuck, auch dein Leben retten, nicht wahr?«
»Setzen Sie sich.« Er wies auf die Holzkiste. »Schließlich sind wir hier eingerichtet. Außerdem ist das hier nur eine Art Notunterkunft.«
»Ich weiß immer noch nicht, was Sie hier oben tun«, sagte Maureen.
»Ich weiß es selbst nicht. Aber versuchen Sie es Hardy zu erklären. Die Karten besagen, daß dies hier ein guter Wachtposten ist. Wenn die Sicht mehr als 90 Meter beträgt, dürfte das freilich stimmen, aber im Augenblick ist es Zeitverschwendung.« »Wir haben eine Menge Leute«, sagte Maureen. Sie setzte sich vorsichtig auf die Kiste und lehnte sich gegen den harten Fels.
Das Plastikzeug hinter ihr und zwischen dem Felsen war feucht von dem Wasser, das sich auf der Innenfläche niederschlug.
»Das müssen Sie irgendwie abdichten«, sagte sie und strich mit dem Finger über den feuchten Kunststoff.
»Alles zu seiner Zeit.« Er stand nervös mitten im Raum herum, schließlich stapfte er zur Luftmatratze und setzte sich auf seinen Schlafsack.
»Sie glauben, Al ist ein Narr«, sagte sie.
»Nein. Das habe ich nicht gesagt.« Harveys Stimme klang ernst. »Ich glaube, daß ich hier oben für etwas nütze bin. Und wenn eine ganze Meute an mir vorbeirasen würde, würde ich immer noch mit der Waffe hinter ihnen stehen. Und jede Warnung, die ich denen da unten zukommen lassen würde, wäre von irgendwelchem Wert. Nein, ich denke nicht, daß Hardy ein Narr ist. Und wir haben jede Menge Leute, wie sie sagen.«
»Viel zuviele«, meinte Maureen. »Zu viele Leute, zu wenig Lebensmittel.« Sie kannte diesen Prinzipienreiter nicht wieder, der da auf seinem Schlafsack hockte, der nichts von galaktischen Reichen erzählte und sie nicht fragte, was sie hier oben mache. Das war nicht der Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Sie wußte nicht, wer er war. Fast erinnerte er sie an George. Er schien
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