Luzifers Hammer
dem Tal hinaus.
Harvey versuchte, die Jungs zum Sprechen zu bringen, um sie kennen zu lernen, aber sie machten kaum mit. Sie gaben zwar höfliche Antworten auf seine Fragen, doch meist saßen sie da, in ihre eigenen Gedanken versunken. Nach einiger Zeit lehnte sich Harvey in seinem Sitz zurück und versuchte zu ruhen. Doch dies erinnerte ihn zu sehr an jenes letzte Mal, als Marie den Wagen gefahren hatte, und er richtete sich kerzengerade auf.
Sie fuhren aus dem Tal hinaus. Harvey fühlte sich irgendwie nackt und verwundbar. Er, Mark, Joanna und Marie hatten bis heute manches durchgemacht. Er fragte sich, was sich die Jungs wohl dachten. Und das Mädchen, Marylou, er konnte sich nicht an ihren Familiennamen erinnern. Ihr Vater war der Apotheker der Stadt, doch sie hatte kein Interesse am Geschäft. Vielmehr schien sie an dem Burschen interessiert, der bei ihr saß. Harvey erinnerte sich, daß er Bill hieß, und Bill und Marylou hatten so was wie ein Studium am Santa Cruz College absolviert. Die anderen meinten, daß sie nicht sonderlich gescheit sein mochten, weil sie so weit entfernt aufs College gingen. Marie fuhr die Steigung hinauf, die aus dem Tal hinausführte.
Harvey war noch nie so weit oben im Tal gewesen. Oben auf dem Kamm blinkten Lichter: Das waren Hartmans Leute bei der Arbeit, die trotz Mitternacht und scharfem Wind am Werk waren.
An der Straßensperre unterhalb des Kammes saß nur ein einziger Wachtposten in dem kleinen Unterstand herum. Sie fuhren an ihm vorbei und waren aus dem Tal heraus.
Er sah und spürte es: Sie waren in jenes weltweite Chaos eingetaucht, das der Hammerfall hinterlassen hatte. Hier draußen war es schier zum Fürchten. Harvey verhielt sich so still wie möglich, und versuchte sich zu beherrschen, um Marie nicht anzufauchen und ihr zu sagen, sie möchte wenden und sie wieder an einen sicheren Ort bringen. Er fragte sich, ob die anderen ähnlich fühlten. Doch es war besser, keine Fragen zu stellen.
Lassen wir alle in dem Glauben, daß es keiner mit der Angst zu tun bekommt und davonläuft. Sie fuhren weiter, während eine unnatürliche Stille über ihnen lastete.
Die Straße war stellenweise aufgebrochen, aber die Fahrzeuge hatten rund um die Bruchstellen eine Spur gefahren. Harvey sah Stellen, wo man die Straße leicht hätte blockieren können, und er zeigte sie den Mitfahrenden. Durch den immer wieder einsetzenden Schneeregen und durch die Dunkelheit war die Sicht miserabel. Der Karte nach befanden sie sich in einem anderen Tal, gesäumt von Bergkämmen im Süden, die viel niedriger waren als die, die die Festung umgaben. Dies würde das Schlachtfeld sein.
Unten lag ein Arm des Tule River, die Hauptverteidigungslinie für die Festung. Dahinter lag ein Gebiet, das Hardy nicht einmal versucht haben würde zu halten. In wenigen Tagen, vielleicht schon in wenigen Stunden würde das Tal, das sie jetzt durchfuhren, tödlicher Boden sein, eine Walstatt.
Harvey versuchte sich das vorzustellen. Unaufhörlicher Lärm, nichts als Getöse: das Rattern von Maschinengewehren, das Krachen von Gewehrfeuer, Sprengbomben, Mörser und dazu die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Hier würde es keine Hubschrauber und keine Feldlazarette geben. In Vietnam wurden die Verwundeten schneller ins Krankenhaus geschafft als daheim die Opfer eines Verkehrsunfalls. Hier mußten sie ihre Chancen wahrnehmen. Wer schwer verletzt war, krepierte – oder wurde geschlachtet.
Sie? Nicht sie. Ich , dachte Harvey. Wer hatte gesagt »Eine vernünftige Armee würde davonlaufen?« Irgendwer. Aber wohin?
Die Sierra. Lauf zu Gordie und Andy! Geh und such deinen Sohn! Die Pflicht eines Mannes sind seine Kinder … Halt!
Handle wie ein Mann, sagte er zu sich.
Wie ein Mann handeln, heißt das, ruhig dazusitzen und sich dorthin fahren zu lassen, wo man getötet wird?
Ja. Manchmal. Diesmal. Denk an etwas anderes! Maureen.
Habe ich eine Chance? Diese Gedankenrichtung war nicht gerade erfreulich. Er fragte sich, warum er sich um Maureen soviel Sorgen machte. Er kannte sie kaum. Sie hatten vor einer Ewigkeit einen Nachmittag zusammen verbracht, hatten sich geliebt, und seitdem heimlich immer wieder. Das reichte nicht, um ein Leben aufzubauen. War er nur deswegen an ihr interessiert, weil sie Sicherheit, Macht und Einfluß versprach? Er wollte es zwar nicht glauben, sicherlich war es mehr, aber objektiv konnte er keine Gründe finden. Treue? Treue zu einer Frau, mit der er ein ehebrecherisches Verhältnis
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