Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
Reiß dich zusammen. Du stehst hier mitten in der Wüste am Straßenrand, während am Flughafen dieser nette, junge Mann auf dich wartet. Immerzu lässt du dich durch deine Traumgespinste vom richtigen Leben ablenken.
Und wie Recht sie hatte!
Lydia trat aufs Gaspedal. Sie war jetzt schon eine Viertelstunde zu spät, und bis zum Flughafen waren es noch zwanzig Minuten. Jeffrey war es gewohnt, auf sie zu warten, aber nun, da sie sich auf die Gegenwart konzentrierte und ihn sehnlichst herbeiwünschte, konnte es ihr nicht schnell genug gehen, und die Strecke erschien ihr quälend lang.
Noch bevor sie den Flughafen erreichte, war sie davon überzeugt, dass Junos Aussagen auf viele Menschen gepasst hätten. Sie ließen sich beliebig interpretieren. Und dennoch blieben letzte Zweifel, die Lydia sofort verdrängte wie die Erinnerung an ihren Albtraum.
NEUN
A ls er sie erblickte, war er überwältigt. Sie war in seiner Nähe gewesen und hatte dennoch nicht geahnt, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Er hatte ihr leichtes, blumiges Parfum gerochen und ihre rhythmische, melodische Stimme gehört.
Weiche, cremeweiße Haut. Wie gut sie sich an seinen Lippen und Händen anfühlen würde. Bebend hatte er sich vorgestellt, auf ihr zu liegen, während sie ihren Kopf vor Lust in den Nacken warf und ihre Fingernägel in seinen Rücken krallte, bis die roten Kratzer zu bluten anfingen. Er hatte Hand an sich gelegt und sich keuchend selbst befriedigt.
Als er in aller Stille kam, hatte er sich vorgestellt, auf ihr zu sitzen und sich in ihrem Blut zu suhlen, während sie ihn aus leblosen Augen anstarrte und ihre Lippen zu einem stummen Schrei geöffnet waren. Plötzlich wurde er wütend. Er schämte sich. Du Schlampe hast nicht das Recht, über mich zu urteilen. Er musste sich auf die Zunge beißen, um sich nicht durch sein Lachen zu verraten.
Sie spielte eine wichtige Rolle in seinem Plan. In Gottes Plan. Obwohl er sie ganz für sich haben wollte, lag die Entscheidung nicht allein bei ihm. Er würde sich Gottes Willen beugen. Ihre Rolle in seinem Plan stand fest. Es war perfekt, Gottes Hand waltete. Sie war zu ihm gekommen, ihm erschienen, wenige Wochen nachdem er ihre Bücher gelesen hatte. Wieder einmal war sie auf den Plan getreten, kurz bevor er sein Werk vollenden konnte. Es war reine Poesie.
Der Raum war dunkel, abgesehen von dem Mondlicht, das durchs Fenster fiel. Der Edelstahltisch schimmerte. Mit übereinandergeschlagenen Beinen saß er in einer Ecke auf dem Boden und hielt eine Bierdose in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. Heute Morgen war ihm der Geist seines Sohnes erschienen. Er war aufgewacht und hatte eine süße Kinderstimme gehört.
»Daddy?«
Der kleine Kopf mit den rotblonden Locken war von einem Lichtkranz umgeben. Der Kleine sah blass und mager aus, aber er lächelte. Er trug eine ausgebeulte Jeans von The Gap und ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt. Ein seltsamer Aufzug für einen Engel.
»Daddy, du bist so mutig. Gott liebt dich.«
Er wollte aufspringen und seinen Sohn umarmen, die weichen Haare und die zarte Haut riechen, das kostbare, kleine Geschöpf noch einmal an sich drücken. Aber es war zu spät. Er sank an der Stelle auf die Knie, an der er eben noch seinen Jungen gesehen hatte. Er brach zusammen und schluchzte in den dreckigen Teppich.
Es war ein Zeichen. Er tat das Richtige.
Maria Lopez stand in der kühlen, stillen Damentoilette vor dem Spiegel und schminkte sich. Ihr Fuß tappte im Rhythmus der seichten Instrumentalmusik, die aus den Lautsprechern drang, während sie Make-up und Puder auftrug, um die Unebenmäßigkeiten ihrer Haut abzudecken. Das Neonlicht war wenig schmeichelhaft, aber das war Maria egal. In der Bar würde es ohnehin dunkel sein.
Sie toupierte sich das schwarze Haar mit einem rosa Kamm und kniff die Augen zu, als sie es mit Haarspray fixierte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um sich im Spiegel über dem Waschbecken besser sehen zu können. Das schwarze, enge Strickkleid schmiegte sich an ihren zierlichen Körper. Sie trug goldene Kreolen und ein goldenes Kreuz an einer Halskette. Sie warf sich eine Kusshand zu.
Sie betrachtete sich nicht als Prostituierte, sondern als eine Frau, die Geld für etwas bekam, das ihr Vergnügen bereitete. So war sie immerhin in der Lage, ihre Rechnungen zu bezahlen. Sie hatte sogar noch etwas übrig. Jeder wusste, dass man vom Mindestlohn nicht leben konnte.
Eines Tages würde sich alles ändern, und sie würde
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