Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
den Richtigen treffen. Eine Familie gründen und die Stadt für immer verlassen. Vielleicht mit diesem Mike, den sie letzte Woche kennengelernt hatte. Er hatte sie angerufen und ihr sogar Blumen auf die Arbeit gebracht. Heute Abend traf sie ihn in der Bar. Wer wusste schon, was die Zukunft brachte?
»Gut siehst du aus«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Auf dem Weg hinaus winkte sie ihrer Chefin noch kurz zu, bevor sie in den kalten Abend hinaustrat. Den Minivan, der ihr in gewissem Abstand folgte, bemerkte sie nicht. Sie schlenderte die Straße entlang und fragte sich, wie der heutige Abend enden würde.
Der Flughafen von Albuquerque war nie so überlaufen wie O’Hare in Chicago oder JFK in New York. Heute wirkte er wie eine Geisterstadt, und durch die Hallen schallten die Stimmen der wenigen Passagiere, die sich begrüßten oder verabschiedeten. Lydias Absätze knallten auf den Boden, als sie den langen Korridor durchquerte, vorbei an unzähligen, menschenleeren Gates. Vor Aufregung war ihr flau im Magen, und schon machte sie sich auf die weichen Knie gefasst, die sie bei Jeffreys Anblick bekam. Er war schon da und lehnte mit verschränkten Armen am Fenster.
»Warum muss ich immer und überall auf dich warten?«, fragte er lächelnd.
Er war unrasiert, sein volles, dunkles Haar zerzaust. Das dunkelblaue T-Shirt spannte sich über seine muskulöse Schulter- und Brustpartie. Die graue, leicht zerknitterte Bundfaltenhose wirkte sehr elegant und betonte Jeffreys schmale Hüften und seinen flachen Bauch. Er hatte ein ausgeprägtes Kinn, aber seine blauen Augen waren sanft.
»Mein Lieblingsgesicht«, murmelte sie und schlang ihre Arme um seine Taille. Er roch ganz leicht nach Rasierwasser, es duftete süß und nach Moschus. Er küsste sie auf die Stirn und zog sie sanft an sich. Lydia spürte die verlockende Mischung von Sicherheit und Vertrautheit.
»Ich habe dich vermisst, Jeffrey«, flüsterte sie. »Ich habe dir so viel zu erzählen.«
ZEHN
A uf dem Weg zum Auto bemerkte Jeffrey, wie dünn Lydia geworden war. Sie war immer schon schlank gewesen, aber muskulös und mit weiblichen Rundungen an den richtigen Stellen. Ihre sonst so vollen, rosigen Wangen waren eingefallen, die Jeans schlabberten ihr um die Oberschenkel und rutschten ihr fast von der Hüfte. Unter ihren Augen zeichneten sich hauchzarte, dunkle Ringe ab. Als er seinen Arm um ihre Schultern legte, fühlte sie sich klein und zerbrechlich an. Normalerweise schien Lydia immer unter Strom zu stehen, man fühlte die Energie, sobald man sie berührte, ihre körperliche und seelische Stärke.
Er betrachtete sie mit den Augen eines Vaters, der ihre körperliche und geistige Gesundheit daran festmachte, wie viel Gewicht sie verloren oder zugelegt hatte. Sie wusste selbst, dass sie nicht gut aussah und müde und ausgemergelt wirkte.
»Es wird immer schlimmer«, sagte sie, als sie das Auto erreicht hatten. Es war die Antwort auf seine unausgesprochene Frage.
»Was?«
»Der Todestag meiner Mutter. Es fällt mir jedes Jahr schwerer, ihn zu überstehen.« Fast trug der Wind ihre brüchige Stimme davon.
»Wir haben schon einmal darüber geredet. Du solltest dir Hilfe holen.«
»Ich habe mit mehr als einem Psychologen darüber gesprochen. Keiner konnte mir helfen.«
»Weil du dich auf niemanden einlässt! Du gehst hin, tust die Ärzte als Nichtskönner und Idioten ab und verschwindest auf Nimmerwiedersehen. Das kann man kaum Therapie nennen.«
Lydia seufzte. Sein Puls beschleunigte sich. Er ertrug es nicht, sie so unglücklich zu sehen. Dass sie den Fehler einsah und sich dennoch weigerte, etwas zu ändern, machte Jeffrey verrückt. Er küsste sie auf den Scheitel und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie hob den Blick nicht, sondern starrte auf seine Brust.
»Was soll ich tun, Lyd?«
»Gar nichts, denn jetzt bist du ja da.«
»Deswegen hast du mich herbestellt?«, fragte er, nahm ihr die Autoschlüssel aus der Hand, warf seine Tasche in den Kofferraum des Mercedes und stieg auf der Fahrerseite ein. »Wegen deiner komplizierten Psyche?«
»Vielleicht«, sagte sie lächelnd. »Womöglich ist es aber noch viel komplizierter. Warum willst du immer fahren?«
»Keine Ahnung. Ich fahre gern.«
»Du willst immer alles unter Kontrolle haben«, sagte sie, stieg auf der Beifahrerseite ein und schnallte sich an.
»Und das stört dich nur, weil du immer alles unter Kontrolle haben willst.«
»Wie auch immer.«
Während sie fuhren, verdichteten sich die
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