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Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Titel: Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Nachmittagssonne fiel durch die Kirchenfenster, es waren über achtunddreißig Grad. Niemand sprach zu mir, also näherte ich mich den Bänken. Ich konnte hören, dass die Frau in der ersten Reihe saß. Ich setzte mich neben sie und spürte ihr Unglück, als wäre es mein eigenes. Sie strahlte es aus wie ein Fieber.
    Die junge Frau hieß Allison Drew. Ich kannte sie vom Gottesdienst. Sie war etwa so alt wie ich und kam seit ihrem zehnten Lebensjahr mit ihrem Vater in die Kirche, jeden Sonntag. Oft war sie nach der Mittagsmesse zur Bibelstunde geblieben. Sie war betrunken Auto gefahren und hatte einen Unfall verursacht. Der Fahrer des anderen Wagens wurde getötet und Allison schwer verletzt. Die Gerichtsverhandlung stand bevor. Sie war erblindet, aber ihr Vater behauptete immer wieder, das sei nur vorübergehend.
    Ich sagte nichts, sondern rutschte nur an sie heran und legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie lehnte sich an mich und weinte. Sie spürte, dass es nicht nötig war zu reden. Ich fühlte ihren Schmerz, ihre Scham, ihre Hoffnungslosigkeit, ihre Trauer um das Leben, das sie ausgelöscht hatte. Weil sie sich mit Worten nicht trösten ließ, küsste ich sie vorsichtig auf die Stirn, hauchte ihr all die Liebe und Gnade ein, die Gott für sie bereithielt, und sagte: ›Gott hat dir vergeben, Allison, nun vergib dir selbst.‹
    Vier Tage später konnte Allison wieder sehen. Sie erzählte allen, dass ich ihr von Gottes Vergebung berichtet und sie geheilt hätte. Ich hätte sie auch ohne Worte verstanden. Die Leute glaubten ihr, und immer mehr kamen zu mir und baten um Rat.
    Ich fühlte mich in dieser neuen Rolle nicht wohl, aber ich brachte es nicht übers Herz, die Leute abzuweisen. Ich dachte: Vielleicht hilft Gott diesen Menschen durch mich. Vielleicht bin ich deswegen auf der Welt . Und dann merkte ich, dass meine Worte die Macht hatten, anderen bei ihren Problemen zu helfen. Die Leute fühlten sich verstanden. Vielleicht nur deshalb, weil ich wirklich zuhörte.
    Ein paar Monate nach der Sache mit Allison reiste ein Ehepaar mit seinem autistischen Sohn Morgan an. Sie wohnten ein paar Orte entfernt. Ich zögerte, erklärte mich schließlich aber bereit, Zeit mit dem Kind zu verbringen. Ich wusste tief in meinem Herzen, dass nicht ich es war, der Allison geheilt hatte, auch wenn sie und die anderen das glaubten. Ich hatte nichts dagegen, den Leuten einen Ratschlag zu geben, aber ich wollte niemanden glauben machen, ich könne Wunder vollbringen. Doch das Ehepaar war so verzweifelt, dass ich nicht nein sagen konnte.«
    Juno hatte beide Hände in die Taschen gesteckt und hielt den Kopf gesenkt. Er wirkte traurig und verwirrt, so als könne er immer noch nicht fassen, was ihm zugestoßen war.
    »Während seine Eltern in der Kirche beteten und warteten, nahm ich den Jungen in den Gemeinderaum mit, wo gerade die Bibelstunde stattfand. Er saß reglos auf seinem Platz. Er roch nach Seife und Babypuder. Ich berührte seine weichen kurz geschorenen Haare.
    Eine halbe Stunde verstrich. Der Junge war wie eine verschlossene Kiste. Ich spürte nicht, was sich in seinem Kopf abspielte. Die Seele dieses Jungen ist umgekrempelt, dachte ich , er ist in sich selbst gefangen . Ich hatte das Gefühl, dass Morgan sein Leben wahrnahm wie einen fernen, zweidimensionalen Film. Er sah, was um ihn herum passierte, konnte sich aber selbst nicht dazu in Bezug setzen.
    Ich erzählte ihm gerade die Geschichte von Noah und der Arche, als er unvermittelt zu kreischen anfing. Das Blut gefror mir in den Adern. Dann verstummte er, als wäre nichts geschehen. Zutiefst verstört wandte ich mich von ihm ab und spielte Gitarre, weil mir nichts Besseres einfiel.
    Nach einer Stunde brachte ich ihn zu seinen Eltern zurück. Ich sagte ihnen, dass ich ihrem Sohn nicht helfen könne. Sie bedankten sich und verließen stumm und enttäuscht die Kirche.
    Als sie davonfuhren, ärgerte ich mich, dass ich dem Jungen nicht hatte helfen können, und fragte mich, ob es Gottes Wille war, dass Morgan sich verschloss, oder ob ich versagt hatte.
    Aber einige Wochen später ging in der Gemeinde das Gerücht um, ich hätte ein autistisches Kind geheilt. Angeblich hatte Morgan vier Tage nach unserer Begegnung angefangen zu sprechen und zu spielen wie ein normales Kind. Ich hätte es zu gerne geglaubt, aber ich wusste genau, dass es nicht stimmte. Ich versuchte, Morgans Nachnamen herauszubekommen und die Eltern anzurufen, um die Wahrheit zu erfahren, aber niemand schien

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