Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
ich kenne mich mit Vermisstenfällen bestens aus und dachte, dass ich Sie vielleicht unterstützen kann.«
Jeffrey kam gut mit Männern aus. Die meisten mochten ihn und vertrauten ihm auf Anhieb. Er gab sich respektvoll und zurückhaltend, aber sein Händedruck war aus Stahl und sein Blick von einer Härte, die andere Männer sofort wahrnahmen. Er war höflich, ließ sich jedoch nicht für dumm verkaufen.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es da so viel zu ermitteln gibt.«
»Tatsächlich? Immerhin haben Sie vier vermisste Personen, von denen mindestens eine vermutlich tot ist. Gilt das in diesem Bezirk als ›normal‹? Oder sind die Leute alle wohlbehalten wieder aufgetaucht? Am Ende handelt es sich beim letzten Opfer um eine Prostituierte?«
Jeffreys Anspielung auf Morrows peinliche Vergangenheit trieb dem Chief die Röte ins Gesicht. Seine Wangen brannten. Auch wenn Jeffrey ihn in St. Louis immer sehr höflich behandelt hatte, hatte er ihn zu Fall gebracht. Morrows Magen krampfte sich zusammen.
»Kommen Sie mit«, sagte er und führte Jeffrey in sein Büro.
Jeffrey setzte sich, während der Chief Kaffee holen ging. Im Büro herrschte das reinste Chaos. Überall stapelten sich Akten, auf dem Schreibtisch lag ein halber Donut neben einem Becher mit kaltem Kaffee und einem überquellenden Aschenbecher. Auf den Lamellen der schiefen Jalousie hinter dem Schreibtisch hatte sich eine dicke Staubschicht gesammelt. Die ehemals weißen Wände waren gelbstichig. Auf einem klapprigen Beistelltisch stand eine mechanische Schreibmaschine. Jeffrey stand auf, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Er hatte seit Jahren keine mehr gesehen. Vorsichtig strich er über die runden, schwarzen Tasten.
Als er sich über die Schreibmaschine beugte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Ein Foto – das Bild eines Tierkadavers. Ein Deutscher Schäferhund mit aufgeschlitztem Bauch. Die Bauchhöhle war ausgeräumt, der Brustkorb aufgesägt worden.
Jeffrey hob den Kopf und sah Simon Morrow mit zwei Kaffeebechern auf der Schwelle stehen.
»Lucky, wie ich annehme?«, fragte er und hielt lächelnd das Foto in die Höhe.
»Ja«, sagte Morrow und räusperte sich. Er reichte Jeffrey einen Kaffee und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Der Drehsessel ächzte unter seinem Gewicht.
»Ich muss zugeben«, fing Jeffrey an, »dass ich äußerst skeptisch war, als Lydia Strong mir von den verdächtigen Vorkommnissen in Ihrem Bezirk berichtete. Die Verbrechen schienen doch eher banal und unzusammenhängend. Die vermissten Personen waren möglicherweise nur untergetaucht oder ausgerissen. Aber wenn ich mir nun die Fakten ansehe – Brandstiftung, ein verstümmelter Hundekadaver, vier vermisste Personen, mindestens eine wahrscheinlich tot –, frage ich mich, ob sie nicht vielleicht doch Recht hat. Im Grunde weist alles auf einen geistesgestörten Täter hin, auf einen Serienmörder.«
»Vielleicht. Aber bis zu dem mutmaßlichen Mordfall von heute Morgen war ich nicht überzeugt. Betrachten Sie es mal aus meiner Perspektive. Was die Brandstiftung betrifft … hier draußen gibt es jede Menge leerstehende Gebäude, die von Jugendlichen oder von Leuten, die ihre Versicherung betrügen wollen, abgefackelt werden.
Die siebzehnjährige Vermisste ist schon dreimal aus ihrer jeweiligen Pflegefamilie ausgerissen. Und das Paar – tja, manche Leute tauchen einfach ab. Natürlich kam es mir verdächtig vor, dass sie nichts mitgenommen haben, aber das ist kein Verbrechen. Und im Fall einer Straftat hätten wir wohl davon ausgehen müssen, dass der Ehemann seine Frau umgebracht, die Leiche versteckt und sich abgesetzt hat. Er hat sie jahrelang misshandelt. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben wir ihn dutzendmal wegen häuslicher Gewalt festgenommen.
Aber als um drei Uhr morgens der Anruf mit dem Hinweis auf Maria Lopez einging, habe ich zum ersten Mal eine Verbindung gesehen. Ist schon seltsam, wenn in einem Städtchen von dieser Größe gleich vier Menschen verschwinden. Ich bin mir aber noch nicht sicher, was dahintersteckt, ob da draußen ein Serienmörder herumläuft. Aus dem Grund habe ich das FBI noch nicht eingeschaltet. Ich will erst dann Verstärkung anfordern, wenn es nötig ist.«
»Was ist mit dem Krankenhausgroßhandel und dem toten Hund?«
»Der Einbruch in das Lager kam mir tatsächlich seltsam vor. Der Täter hat genug Instrumente mitgehen lassen, um ein kleines Krankenhaus auszustatten. Und die Sache mit dem Hund war auch sehr
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