Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
die Schläge nicht überleben. Sie wagte es nicht, sich scheiden zu lassen oder ihren Mann zu verlassen aus Angst, er würde sie finden und umbringen. Deswegen hat sie Ihren Vater getötet. Sie hat das Haus in Brand gesteckt, als er im Alkoholrausch war. Sie wurde vor Gericht gestellt und schuldig gesprochen. Sie hat Sie im Krankenhaus zur Welt gebracht und ist bei der Geburt gestorben.«
Lydia hatte Juno die Geschichte in all ihrer irdischen Hässlichkeit geschildert. Als sie ihm von Bernard Hugo und seinen Taten erzählte, weinte Juno, denn zum ersten Mal im Leben fühlte er Schmerz. Lydia blieb neben ihm sitzen und legte ihm eine Hand auf den Rücken. Sie gab dem Officer an der Tür ein Zeichen, mit dem Umgraben zu beginnen. Lydia war überzeugt, dass man im Garten die Herzen der Opfer finden würde. Auch wenn sie weder wusste, warum der Täter sie unbedingt hier vergraben hatte, noch, was er damit sagen wollte, hatte sie eine vage Vorstellung von der Traumwelt des Killers, von seinem Wesen. Sie ahnte, dass er sich an Juno rächen wollte, weil er seinen Sohn nicht hatte retten können. Warum er sich die anderen als Opfer ausgesucht hatte, verstand sie nicht. Reiner Zufall? Hatten sie das Pech gehabt, ihm zufällig im Weg zu stehen?
»Juno«, sagte Lydia sanft, weil ihr plötzlich ein Gedanke kam.
Juno hob den Kopf. Er schien zum Altar zu starren. Vor Kummer war er ganz benommen und kam erst wieder zu sich, als er Lydias Stimme hörte.
»Haben die Opfer Sie jemals um Rat gefragt? Haben Sie einem dieser Menschen geholfen, Juno?«
Während er über ihre Frage nachdachte und ihm die furchtbare Konsequenz seiner Antwort bewusst wurde, schien er noch weiter in sich zusammenzusacken.
Auf einmal hatte er tatsächlich alles verloren, was er bisher für gültig erachtet hatte.
»Ich habe sie alle beraten«, flüsterte er. »Christine und Harold kamen vor einem Jahr zu mir, weil sie ihre Drogensucht überwinden wollten. Shawna wollte ihre Wutanfälle in den Griff bekommen. Und Maria suchte Trost, weil ihr Frauenarzt einen Knoten in ihrer Brust gefunden hatte.«
»Und was ist passiert?«
»Christine und Harold schienen sich von den Drogen losgesagt zu haben, als sie verschwanden. Shawna engagierte sich in der Kirchengemeinde, und sie wurde ausgeglichener. Marias Tumor stellte sich als gutartig heraus. Sie behauptete, sie hätte an Brustkrebs sterben müssen, aber durch mein Gitarrenspiel sei sie geheilt worden. Sie hat es überall herumerzählt.«
»Dann haben Sie allen Opfern geholfen. Sie haben sie gewissermaßen geheilt. Das muss Ihnen doch etwas bedeuten, Juno. Nach der Begegnung mit Ihnen haben diese Menschen ein besseres Leben geführt, egal, ob nun Gott dahintersteckt oder nicht.«
»Lydia«, sagte er, »falls es so ist, wie ich vermute, haben all diese Menschen nur meinetwegen ihr Leben verloren.«
»Nein, Juno, diese Menschen haben ihr Leben wegen Bernard Hugo verloren. Verwechseln Sie das nicht. Diese Schuld dürfen Sie nicht auf sich nehmen. Sie haben nach bestem Gewissen gehandelt und sich von Gott leiten lassen.«
»So wie Bernard Hugo.«
DREIUNDZWANZIG
L ydia setzte sich an die Tür und schaute zu, wie die Polizisten den Kirchgarten umgruben, Blumenstauden und Wurzeln entfernten und die Erde vorsichtig siebten, um nichts zu übersehen. Ein bohrender Kopfschmerz hatte sich hinter ihren Augen ausgebreitet, und die Ereignisse lasteten schwer auf ihren Schultern. Sie versuchte, Junos Tränen und Bernard Hugos Horrorkabinett aus ihren Gedanken zu verbannen, um sich auf ihre anstehenden Aufgaben konzentrieren zu können.
Die Sonne brannte, und die Polizisten schwitzten bei der Arbeit. Nichts war zu hören als ihre Spatenstiche, der Wind und gelegentlich ein Auto, das auf der Schotterstraße vorbeifuhr. Das rhythmische Geräusch der Harken hatte auf Lydia eine hypnotisierende Wirkung. Sie betrachtete die Skulptur der Madonna mit ihrem Kind und fragte sich, was diese steinernen Augen wohl gesehen hatten. Im selben Moment hörte sie eine Harke über einen festen Gegenstand kratzen. Wie auf Kommando erschien der Rechtsmediziner Harry Wizner am Gartentor.
Wie in Zeitlupe traten die Polizisten beiseite, und Wizner kniete sich hin und öffnete seinen schwarzen Arztkoffer. Er nahm Handschuhe, einen Pinsel und eine kleine Schaufel heraus. Mit dem Pinsel wischte er die Erde beiseite, bis eine runde, gläserne Form sichtbar wurde, die er mit der Schaufel vorsichtig anhob. Lydia ging näher heran, und in diesem
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